Lange Zeit lebten die Bewohner von Oberndorf in der Angst aussiedeln zu müssen. In der Stellungnahme von Pfarrer Sielipp an das bischöfliche Ordinariat vom 21. Juli 1938 heißt es: "Betreffs Entsiedlung sind schon an mehreren Sonntagen Ansprachen gehalten worden. Aber die Sache wird immer unklarer. Ein Termin zur Auswanderung ist für (Gemeinde) Pfarre noch nicht gestellt. Man sagte ganz unbestimmt und unverbindlich, daß wir das laufende Jahr noch bleiben dürften, daß es aber auch bei geänderten Verhältnissen anders befohlen werden könnte."
Nach 800 Jahren wechselhafter Geschichte wurde die Pfarre Oberndorf mit den Ortschaften Ober-Plöttbach, Perweis und Kühbach durch das NS-Regime wegen der Errichtung eines Schießplatzes für die Deutsche Wehrmacht ausgelöscht. 932 Menschen aus 180 Häusern verlieren durchdie Zwangsaussiedlung ihre Heimat.
Der Ort Hörmanns, der ebenfalls zur Pfarre Oberndorf gehörte, wurde nicht entsiedelt und gehört seit April 1940 zur Pfarre Groß-Globnitz. Er hatte zur Zeit der Entsiedlung 133 Einwohner. Der Räumungstermin für alle 4 Orte der Pfarre war offiziell der 1. Oktober 1939, die Auflösung der Pfarre Oberndorf erfolgte allerdings erst mit 1. April 1940. Da es ohne Pfarrangehörige keine Pfarre gibt, mußte diese von Diözesanbischof Michael Memelauer aufgehoben werden. Der Ort Hörmanns wurde in die Pfarre Groß-Globnitz umgepfarrt. Die Diözese St. Pölten dürfte für die Pfarrkirche und den Pfarrhof sowie für die rund 22 ha Grundbesitz der Pfarre eine Ablöse erhalten haben. Für die Grundstücke, auf denen Kirche und Friedhof lagen, erhielt die Diözese keinerlei Entschädigung, da - genauso wie in Groß-Poppen - die Windhagsche Stipendienstiftung das Patronat innehatte und der Kirchenbesitz offensichtlich der Stiftung zugerechnet wurde.
Der Kirchennachbar Gastwirt Karl Schachinger und Franz Lehr, um zwei Beispiele zu nennen, wohnten noch im Juni 1940 in Oberndorf. Der 1921 in Oberndorf geborene Gastwirtssohn erzählte mir im September 1984: "Ende 1939, Anfang 1940 wurde ausgesiedelt. Ich hatte damals schon meine Lehre abgeschlossen. Mit meinem einfachen Fotoapparat habe ich versucht, Oberndorf zu fotografieren. Man spürt schon den Abschied in den damals entstandenen Bildern. Auch beim Aussiedeln habe ich mitgeholfen." "
Abb. 198 Das Gasthaus Lehr ist auf vielen Ansichtskarten von "Oberndorf bei Allentsteig NÖ" abgebildet. Damals war Allentsteig das Zentrum und die bedeutendste Stadt dieses Gebiets.
Abb. 199 Kirche und Gasthaus Lehr, 1938
Abb. 200 Blick auf Pfarrhof, Kirche und Gasthaus von der Ober-Plöttbacher Straße aus.
Abb. 201 Südostseite der Pfarrkirche zum Hl. Vitus mit der Friedhofsmauer und dem Gasthausgarten, 1938. Ganz links sind ein Wirtschaftsgebäude des Pfarrhofes und rechts das Einfahrtstor des Gasthauses zu erkennen.
Beim letzten feierlichen Gottes-dienst, am Schmerzhaften Freitag, dem 15. März 1940, in der Pfarrkirche Oberndorf verlas Pfarrer Leopold Sielipp den Hirtenbrief von Bischof Michael Memelauer:
Katholische Pfarrgemeinde Oberndorf!
Zum letzten feierlichen Gottesdienst seid Ihr in Eurer Pfarrkirche versammelt. In den nächsten Tagen müßt Ihr zum Wanderstab greifen. Gerne möchte ich persönlich in Eurer Mitte sein, um ein letztes Wort des Trostes und der Stärkung Euch zu sagen. Gerne möchte ich noch jedem von Euch die Hand drücken, zum Zeichen des Dankes für die Treue, die Ihr dem Bischof immer bewiesen habt. Ich kann Euer Leid und Euren Schmerz in dieser Abschiedsstunde nachfühlen. Was Euch lieb und teuer war auf Eurem Heimatboden, das müßt Ihr nun verlassen. Verlassen müßt Ihr den Hof, mit dem Euer Name vielleicht schon seit mehr als einem Jahrhundert verewigt ist. Verlassen die Wiesen und Felder, die Ihr durch Jahre in mühevoller Arbeit betreut habt. Verlassen müßt Ihr eure Verwandten und Freunde, mit denen Euch die Bande des Blutes verbinden. Verlassen müßt Ihr Eure Kirche, in der Ihr getauft wurdet, in der Ihr die heilige Kommunion empfangen, in der Ihr als Mann und Frau die Hand zum Bund des Lebens gereicht habt. Verlassen müßt Ihr Eure lieben Toten, Eure Gräber, wo Ihr so gerne gebetet habt, weil sie Euer Vater, Eure Mutter, Euer Bruder, Eure Schwester oder Euer liebes Kind waren, die allzufrüh verstorben sind. Ich begreife, daß bei diesen Gedanken bitteres Leid und harter Schmerz Eure Seele durchwühlt. Nur ganz starke Seelen, nur ganz gläubige Seelen, die vom lebendigen Gottesglauben erfüllt sind, werden in dem Räumungsbefehl den unerforschlichen Willen Gottes erkennen. Nur solch starke Opferseelen können über diese harten Stunden hinwegkommen. Darum bitte ich Euch, meine Lieben, in dieser vielleicht bittersten Stunde Eures Lebens, nicht zu hadern mit dem Gott, der Euch diesen Karfreitag schickte, nicht mit zürnendem Herzen und geballter Faust zum Wanderstab zu greifen. Wenn Ihr nun auch alles, was Euch lieb und teuer war, zurücklassen müßt, Euer Gott geht mit Euch und verläßt Euch nicht, unser Herrgott mit seiner Hilfe und seinem Segen. Er wird mit seiner starken Hand Euch auch in Zukunft leiten und führen und Euch helfen, auf fremdem Boden eine neue Heimat zu finden. Darum bitte ich Euch, in dieser schweren Stunde das Vertrauen auf Gott nicht zu verlieren, eingedenk des psalmistischen Wortes: "So wird der Herr für den Bedrückten zur Burg in Zeiten der Not. Darum vertraut dir, wer deinen Namen kennt; denn du, Herr, verläßt keinen, der dich sucht" (Psalm 9, 10-11). Laßt Euch zum Abschied noch das Mahnwort in die Seele schreiben: Bleibt treu Eurem Glauben, den Ihr von den Eltern ererbt, treu der katholischen Kirche, als deren Glieder Ihr Euch bekennt. Das soll das große Gut sein, das Ihr von Eurer Heimat als unveräußerliches Erbe mitnehmen sollt. Das waren die Pfarrangehörigen von Oberndorf zu allen Zeiten: ein glaubensstarkes, opferbereites Volk. Das sollt Ihr auch in Zukunft bleiben, Männer und Frauen voll unerschütterlicher Glaubensüberzeugung. Eine Jugend voll Treue zur Kirche und den katholischen Lebensgrundsätzen. Eine Jugend - granithart wie die Steine des Waldviertels, wenn eine böse Umwelt Euch das Glück froher, reiner Jugend aus dem Herzen nehmen will. Nehmt in dieser Stunde auch den wärmsten Dank des Bischofs entgegen, für Eure Glaubenstreue und für alle Opfer, die Ihr für alle diözesanen Werke jederzeit mit bereiter Hand gebracht habt. Seid versichert, daß der Bischof auch weiterhin besonders Eure Nöte nicht vergessen wird. Mögt auch Ihr des Bischofs und seiner Sorgen im Gebete öfters gedenken. Ich nehme Abschied von Euch, indem ich Euch dem besonderen Segen Gottes empfehle. Möge der Herr Euer Schützer und Helfer sein, auf allen Euren Wegen, Euch segnen mit Gesundheit und zeitlichem Wohlergehen und Euch alle erhalten in der Liebe Gottes. Möge Gott geben, daß wir uns alle dereinst wiederfinden in einer ewigen Glückseligkeit. Es segne Euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
St. Pölten, am Schmerzhaften Freitag 1940 Michael Memelauer, Bischof
Der letzte Täufling in Oberndorf war Johann Zellhofer aus Hörmanns 8, geb. am 16. Februar 1940, getauft am 20. Februar 1940. Die letzte Trauung: Johann Dröthahn und Johanna Leidenfrost aus Kühbach Nr. 66, am 29. August 1939. Das letzte Begräbnis: Leopold Scheidl aus Oberndorf 36, gest. am 11. März 1940, beerdigt am 13. März 1940.
Der letzte Pfarrer von Oberndorf war Leopold Sielipp, der den Beinamen "der Drainagierer" hatte, weil er den Leuten das Drainagieren, die Entwässerung sumpfiger Äcker und Wiesen, beigebracht hatte. Leopold Sielipp, geboren am 23. September 1867, stammte aus Mödring. Er hatte 1892 die Priesterweihe erhalten und war seit 1. September 1927 Pfarrer von Oberndorf. Er starb als Pfarrer von Ried am Riederberg am 28. Dezember 1951.
Abb. 202 Das Ende der Glocken (rechts die Florianiglocke) im März 1940. Wozu sie verwendet wurden, kann man sich denken.
Abb. 203 Die Florianiglocke von Oberndorf
Obwohl der Abschiedsgottesdienst bereits am Schmerzhaften Freitag, dem 15. März 1940, gewesen war, feierte Pfarrer Sielipp mit den Pfarrbewohnern, die noch da waren, den allerletzten Gottesdienst in der Pfarrkirche Oberndorf am Ostermontag, dem 25. März 1940. Einige Tage später war die Pfarrkirche Oberndorf ausgeräumt. Das Inventar des Gotteshauses kam an verschiedene Orte: In Groß-Globnitz befinden sich heute die Matrikenbücher, die Herz-Jesu-Statue, die am linken Seitenaltar gestanden war, und die Weihnachtskrippe - sie wurde zu Weihnachten 1940 erstmals dort aufgestellt. Die Marienstatue vom rechten Seitenaltar kam in die Kapelle Lichtenberg, Pfarre Windigsteig. Die Nachbildung der Mariazeller Gnadenmutter wurde in die Ortskapelle Hörmanns gebracht. Sigmundsherberg erhielt alle 11 Messkleider, eine Glocke (die bald zu Kriegszwecken abgeliefert werden mußte) sowie die Turmuhr, die vom 30. Juli 1940 bis Mai 1957 dort in Verwendung war. Das wertvolle romanische Taufbecken kam zunächst in den Hof von Schloß Allentsteig, seit 1983 hat es einen sehr würdigen Platz in der ebenerdigen romanischen Kapelle im Dürnhof bei Zwettl. Im Hof von Schloß Allentsteig befindet sich heute ein Abguß des Taufbeckens - verwendet als Blumenschale...
Franz Lehr hatte im Jahre 1942 einrücken müssen und kam im Jahre 1946 aus der amerikanischen Gefangenschaft zurück. Damals hatte die Kirche noch ihr Dach, auch der Friedhof und die Brünnlkapelle waren noch ziemlich unversehrt. Doch dann wüteten Österreicher in Oberndorf, mit Erlaubnis der Russen: die Kirche und die Brünnlkapelle wurden ihrer Dächer beraubt, der Friedhof sämtlicher Gußeisenkreuze. "Erst nach 1948 ist alles richtig weggeräumt worden. Vieles ist in die Landgegend, auch in die Eggenburger Gegend, gegangen. Die Unsrigen haben vom Turm das Blech heruntergearbeitet und das Holz weggeführt. Die haben geglaubt, was sie da nicht alles haben, wenn sie das herunterreißen."
In der Kirche wurde auch die flache Decke der Kirche heruntergerissen und die barocke Verlängerung des Orgelchores entfernt. Als Draufgabe schossen die Russen noch vor 1955 die Kirchturmspitze herunter. 1957/58 - zwei Jahre nach Abzug der Besatzungssoldaten - wurde die westliche Giebelmauer der Kirchenruine umgeschossen und die Nordwestecke des Turms durch Beschuß zerstört.
Dennoch war das heute als Friedenskirche gerettete Gotteshaus in Döllersheim im September 1955 in einem weit schlechteren Zustand als die Kirche in Oberndorf!
Der Zeitzeuge Josef Poinstingl: "Auch die anderen Seiten des Turms, der Turmhelm (ohne Kreuz und Spitze) sowie die westliche Giebelmauer wären heute noch erhalten, wenn sie nicht im Jahre 1957 oder 1958 vom Wildingser Berg aus beschossen worden wären."
Der durch Abdecken des Daches und Beschuß eingeleitete Verfall ging rasant weiter.
Ein Turm auf schlechten Füßen
Dir. Franz Willinger schrieb im Kirchenblatt der Diözese St. Pölten im Oktober 1955:
Noch eine Pfarre kam in die Todeszone: Oberndorf. Der Weg dahin führt über Stift Zwettl. Als Wahrzeichen der größeren Kraft des christlichen Glaubens und heimatlicher Kultur steht es am Rande der Ruinen. Der Geist dieses ehrwürdigen und gastlichen Hauses, das von den Sorgen der letzten Jahrzehnte keineswegs verschont blieb, wird den künftigen Neusiedlern eine gewaltige Hilfe sein. - Unser Weg biegt bei Hörmanns ein. Der Bunker und unkultiviertes Land verraten sofort wieder den Übungsplatz. Nur schwer kommen die Autos voran bis zu den Mauerresten der Bauernhöfe von Oberndorf. Eine nicht passierbare Brücke gebietet Halt. Zu Fuß nur erreicht man die Kirchenruine über der Straße nach Ober-Plöttbach. Die Umfriedungsmauer ist so gut erhalten, als wäre sie erst von gestern. Von der Kirche freilich stehen wieder nur die Außenmauern. Auf den Resten der uralten gotischen Musikempore wuchert Gras. Es gibt eben auch in Oberndorf kein anderes Dach als den freien Himmel. Des Turmes Fundamente ruhen teilweise auf einem Gewölbe. Ob es durchhält, bis Hilfe kommt, oder nachgibt - das wäre Einsturz und ein noch größerer Schutthaufen im Innern. Durch die Altarfenster lugt das unkultivierte Land herein. An den Wänden sprechen noch etliche Kreuzwegbilder vom Sterben Jesu, am besten erkennbar eine Darstellung des Sturzes Christi unter dem Kreuz - auch ein Symbol für dieses Waldviertler Kirchlein.
Kirchenblatt der Diözese St. Pölten Nr. 40, 20. Oktober 1955"
Abb. 204 Auf dem Sängerchor steht der spätere Kardinal DDr. Franz König, September 1955
Abb. 205 Dem Kirchturm von Oberndorf haben russische Besatzungssoldaten die Spitze weggeschossen. September 1955
Bei einem Besuch in Oberndorf im August 1984 konnten ein Kunstfachmann und ich außen an der Südmauer ein frühgotisches Fenster identifizieren: deutlich sieht man, daß auf Schalung gemauert wurde, also auf einer Holzverkleidung, wie man es heute mit Beton macht; außerdem ist eine doppelte Laibung vorhanden, wie man es sonst nur von Burgfenstern her kennt.
Der Befund des Fachmannes: "Daß die Rippen des Chores weggebrochen sind, aber das Gewölbe noch steht, kommt aus dem einfachen und einzigen Grund, daß die Rippen in sämtlichen Kirchen (außer in der romanischen Zeit) niemals tragende Elemente waren. Dieses Chorgewölbe in Oberndorf stammt aus der Spätgotik, weil bereits ein Ziegelgewölbe vorhanden ist. In der Zeit vorher waren die Gewölbe aus Bruchstein. Erst im späten 15. Jahrhundert kamen Ziegel auf."
Abb. 206 Die Pfarrkirche Oberndorf, 1982. Ein Baum und hohe Sträucher wachsen im Kirchenschiff. Vom Triumphbogen wittern Ziegel aus oder fallen herunter.
Abb. 207 Die beiden nach dem Panzerbeschuß noch erhaltenen Seiten (Süd und Ost) des Kirchturms von Oberndorf, davor die Friedhofsmauer, 1984
Abb. 208 Das Ziegelgewölbe des Altarraums ist noch einigermaßen gut erhalten, 1984
Abb. 209 Romanisches Fenster an der Innenseite der Südmauer der Kirche (durch Pfeile markiert), darunter das vermauerte frühgotische Trichterfenster, 1984
Abb. 210 Vermauertes frühgotisches Trichterfenster, darüber das romanische Fenster, 1984
Abb. 211 Der noch halbwegs intakte Südostteil des Sängerchorgewölbes. Die Rippen sitzen schon sehr locker. August 1984
Abb. 212 Frühgotisches Fenster außen an der Südmauer, 1984. Man erkennt deutlich, daß – mit heißem Mörtel – auf Schalung (Holzverkleidung) gemauert wurde, ähnlich wie heute Beton verarbeitet wird. Die doppelte Laiburg ist für Burgfenster typisch.
Abb. 213 Spätgotisches Chorgewölbe aus Ziegel (um 1530) – in der Zeit davor wurde Bruchstein verwendet, die Rippen hatten keine tragende Funktion. 1984
Soll Oberndorf ein zweites Groß-Poppen werden ?
Leider Gottes werden bis heute im Innenraum der ehemaligen Pfarrkirche Sprengübungen durchgeführt. Schon um 1970 fehlte der rechte Vorderbogen der in die Zeit von 1530 datierten Westempore. Der Einsturz der zweiten Achse im Jahre 1991 ist kaum ohne Gewalteinwirkung erfolgt, weil der Schutt des Gewölbes nach Osten in das Kirchenschiff hinausgeschleudert wurde. Wie Unteroffiziere eindeutig feststellen konnten, wurden diese Teile des wertvollen spätgotischen Sänger- und Orgelchors herausgesprengt, was eine rapide Beschleunigung des Verfalls bewirkt.
Abb. 214 Das spätgotische Orgelempore 1984
Abb. 215 ... und 1991
Wildschweine und Soldaten"
In der Zeitschrift "Das Waldviertel" - Heft 4/1991 brachte Dr. Ulrike Kerschbaum unter dem Titel "Wildschweine und Soldaten" ihre Eindrücke von einem Spaziergang im Truppenübungsplatz zu Papier. Aus dem Artikel stammen auch die beiden Bilder aus dem Jahre 1991.
Dann wandern wir weiter in Richtung Oberndorf. Als wir zu der Kirche hinaufgestiegen sind und in das dachlose Innere treten, werden unsere ortskundigen Freunde blaß: "Das Chor ist im Vorjahr noch gestanden, und jetzt liegt es da ...", murmelt einer. Gotische Schlußsteine, Kreuzrippen und Kapitelle liegen unter einem Haufen sichtlich frisch heruntergebrochener Ziegel begraben. Die zweibogige Orgelempore der gotischen Pfarrkirche ist - oder wurde sie absichtlich? - endgültig unrettbar zerstört (...). Der "Denkmalschutz am Übungsplatz" - in offiziellen Dokumenten und Ansprachen oft gerühmt - beschränkt sich nämlich auf Kirche, Friedhof und Bürgerspital von Döllersheim und den Dürnhof. Alle anderen Objekte, egal wie alt oder wie sakral, sind dem Verfall preisgegeben. (...)
Nach dem wortkargen Herumstapfen in den Trümmern gehen wir hinunter zu der Brücke über dem Plöttbach, die zur "Brünnlkapelle" führt. Hier wurde wahrscheinlich in barocker Zeit (...) eine "wundertätige" Quelle gefaßt. Sie war das Ziel eines regen Pilgerstromes aus ganz Niederösterreich und Mähren. Ein Gnadenbild in der Oberndorfer Kirche und das augenheilende Brünnl gaben dem Ort den Beinamen "Klein-Maria-Zell", so viele Pilger kamen hierher.
Es ist bekannt, daß Hitler auf die religiösen Gefühle großer Bevölkerungskreise keine Rücksicht nahm. Daß auch das österreichische Bundesheer sich über derart lang gewachsene religiöse Besetzung mancher Orte hinwegsetzen konnte, gibt (gleich einem Blick durch das Schlüsselloch) unerwartete Einblicke in die tatsächlichen Machtverhältnisse in unserem Staat. Dabei ist die Kirche erfahrungsgemäß ja nicht gar so ohnmächtig bei uns ... Hier aber mußte sie der Zerstörung großer, traditioneller Werte nicht nur baulicher, sondern auch religiöser Natur tatenlos zusehen.
Abb. 216 Der Mittelpfeiler des Sängerchors in Oberndorf, 1984
Abb. 217 ... und 1991
Wie bei vielen uralten Kirchen war auch in Oberndorf der Friedhof rund um die Kirche herum angelegt. Vom Jahre 1755 bis zum 13. März 1940 wurden hier 4.106 Menschen, deren Namen in den Matriken eingetragen sind, bestattet. Von der Gründung der Pfarre Oberndorf vor 1332 bis zum letzten Begräbnis am 13. März 1940 dürften auf dem Friedhof in Oberndorf an die siebentausend Menschen bestattet worden sein.
Abb. 219 Der Friedhof in Oberndorf mit dem Gasthaus Lehr
Abb. 220 Der Friedhof ist um die Kirche herum angelegt. An der Südseite des Turms war die neue Sakristei angebaut. 1939/40
Abb. 221 Franz Lehr jun. Betet am Grab seines Vaters. Links davon ein hölzernes Kreuz, 1938
Abb. 222 Romanische Grabplatte auf dem Oberndorfer Friedhof, vor 1938
Da zur Pfarre Oberndorf (mit dem nicht entsiedelten Ort Hörmanns) über 200 Häuser gehörten, dürfte es auf dem Friedhof auch fast soviele Gräber gegeben haben. An der Kirchenmauer war ein großes Holzkreuz angebracht. An der Südmauer befanden sich mehrere Grabtafeln, auch von in Oberndorf bestatteten Priestern.
Die mit Schindeln gedeckte Umfriedungsmauer war erst wenige Jahre vor der Zwangsaussiedelung neu verputzt worden. Der südliche Eingang war gerahmt von zwei Steinpfeilern mit kugelbekrönten geschwungenen Pyramidenstümpfen.
Abb. 223 Die erstaunlich gut erhaltene Südmauer des Friedhofs aus den Jahren 1926/27. Am Turm deutlich erkennbar die fehlende Nordwestecke, die 1957/58 durch Beschuß zerstört wurde.
Bis zum Herbst 1984 war der Friedhof zum Großteil bis weit über die Friedhofsmauer hinauf mit Schneebeerstauden, auch Totenbeerstauden genannt, überwuchert. An der Südmauer der Kirche konnte ich bis dahin nur eine Grabtafel sehen: sie ist links von der Mitte hinauf ausgebrochen worden, weil man dahinter versteckte Schätze vermutet haben dürfte.
Beim Abtragen des Daches und der Mauern der Kirche war viel Schutt auch auf die Gräber an der Südmauer der Kirche gefallen. Franz Lehr: Wenigstens einmal im Jahr vor Allerheiligen möchte ich, ohne Angst haben zu müssen, das Grab meines Vaters wieder herrichten und am Allerheiligen- oder Allerseelentag eine Kerze anzünden. Das ist inzwischen sicher möglich.
Josef Poinstingl hat seinen Heimatort und sein Geburtshaus in Hörmanns Nr. 4 nicht verloren. Er hat aber seine zweite Heimat Oberndorf verloren. Josef Poinstingl wurde im Jahre 1930 in Oberndorf getauft, ging von 1936 - 1940 in Oberndorf in die Schule und empfing 1938 in seiner Taufkirche die erste hl. Kommunion. Er hat das Grab seiner Schwester seit der Zwangsaussiedelung im Jahre 1940 immer gepflegt.
Friedhofspflege 1984
Die Gräber entlang der Südmauer der Kirche(nruine) lagen bis zu 1,5 Meter unter Schutt, der aus Dachziegeln, Mauerziegeln, Steinen und Mörtel bestand. Österreicher hatten die Kirche in Oberndorf zu einer Ruine gemacht und mit dem Schutt die Gräber ihrer Landsleute begraben.
Abb. 224 Josef Poinstingl bei der Friedhofspflege, 1983
Abb. 225 Die Gräber der Familie Lehr, Allerseelen 1984
Am 1. Dezember 1984 durfte der südliche Teil des Friedhofs in Oberndorf von vielen freiwilligen Helfern aus Hörmanns und auch aus Germanns, unter der Leitung von Josef Poinstingl und Franz Lehr, von Bäumen, Stauden, Sträuchern und Wildwuchs befreit werden. Auch das Friedhofskreuz an der Südmauer der Kirche wurde wieder errichtet. Das Holz spendete Josef Poinstingl, gezimmert wurde das Kreuz von Hermann Poppinger.
Abb. 226 Grabstein für Pfarrer Josef Nemec, im 1984 freigelegten Teil des Friedhofs, 1985
Abb. 227 Hier ruhet der hochwürdige Herr Konsistorialrat Josef Nemec, Pfarrer in Oberndorf, gestorben im 81. Lebensjahre am 27. Jänner 1903, Ruhe sanft!, 1985
Abb. 228 Vorn den vielen Grabtafeln ist nur mehr eine schwer beschädigte vorhanden: ...ier ruhet Frau ...a Steinbauer, Oberplöttbach Nr. 10, ...ez 1919 im 78. Lebensjahre, deren Gatte Josef Steinbauer, gest. 18. Okt. 1920 im 81. Lebensj. Tiefbetrauert von den Hinterbliebenen. Ruhet sanft!, 1984
Abb. 229 Grabstein, der 1984 gefunden und wieder aufgestellt wurde, 1985
Abb. 230 Grabtafel der Familie Hochleitner, 1983. Die Nachkommen leben heute in Thaya.
Bei der vom Übungsplatz-Kommando erlaubten Friedhofs- und Gräberpflege war Franz Lehr Vorbild. Er hat am Allerseelentag 1984 die Gräber seines Vaters und seiner Verwandten buchstäblich ausgegraben: sie lagen unter einer Schichte von bis zu eineinhalb Metern Schutt, verursacht durch Österreicher, die mit Erlaubnis der Sowjetsoldaten nach dem Krieg die Kirche zur Ruine gemacht haben.
Auch die Kirchenruine konnte von einigen Bäumen und vom ärgsten Wildwuchs befreit werden. Die freiwilligen Helfer fanden im Dezember 1984 wenigstens einige Grabsteine, die sie wieder aufstellten. Die Gußeisenkreuze sind jedoch alle nach 1947 entwendet worden. Die wenigsten Gräber auf dem Friedhof in Oberndorf besitzen heute noch Grabeinfassungen. Dies liegt daran, daß der frühere Leiter der Bundesgebäudeverwaltung vor mehreren Jahren die in Oberndorf sichtbaren Einfassungen nach Döllersheim bringen ließ.
Abb. 231 Pfarrkirche und Friedhof Oberndorf, Herbst 1987
Leider ist der übrige Teil des Friedhofes noch nicht von der Verwilderung befreit. Ehrendechant Kreutzer konnte z.B. nach der ersten Allerseelenfeier, am 3. November 1985, das Grab seiner Mutter (!) nicht erreichen.
Vielleicht wäre es möglich, daß unter Hilfestellung des Bundesheeres der ganze Friedhof in Oberndorf jährlich vor Allerheiligen vom Wildwuchs befreit wird, sodaß ein Zugang zu allen Gräbern möglich wäre. Wie sich in Edelbach zeigt, hemmt die Pflanzung von größeren Laub- oder Nadelbäumen den Wildwuchs. Wunderbar wäre es, wenn die Kirchenruine und die Brünnlkapelle konserviert werden.
Sanieren, nicht Zerstören
Aufbauarbeiten, nicht Abbrucharbeiten und Zerstörung gebühren der gesamten Sakrallandschaft des Truppenübungsplatzes! Wer gegen solche Sanierungsarbeiten etwas einzuwenden hätte, der müßte schon ein Herz haben, das aus Kanonenrohren gegossen ist!! Schon 500 Jahre vor Christi Geburt sagte der chinesische Staats- und Sittenlehrer Konfuzius: Die Kultur eines Volkes erkennt man daran, wie es die Gräber seiner Ahnen pflegt. Das österreichische Bundesheer hat denselben Grund und Boden zur Verfügung, der einst den Menschen gehörte, die heute auf den 4 Friedhöfen im Aussiedelungsgebiet ruhen. Die Toten auf den vier Friedhöfen im Truppenübungsplatz sind in diesem Sinn die Ahnen der übenden Soldaten. Es wäre bestimmt sehr pietätvoll, wenn das Bundesheer die Friedhöfe derer pflegte, auf deren einstigem Grund und Boden es jetzt üben darf. Die Gräberpflege sollten die Angehörigen derer übernehmen, die bis 1940 in Oberndorf begraben wurden.
Schändung des Friedhofes und der Kirchenruine in Oberndorf
Wiederholt wurde in den vergangenen Jahren die Ruinenlandschaft des Truppenübungsplatzes als Kulisse für Filmaufnahmen ausgeschlachtet. Bei Dreharbeiten im August 1985 wurden dabei Friedhof und Kirchenruine von Oberndorf geschändet. Die Friedhofsmauer wurde beschmiert, Grabtafeln, von denen es an der Südmauer der Pfarrkirche viele gab, wurden zertrümmert, gotische Fensterlaibungen wurden zerstört und Plastiksäcke bestattet.
Abb. 232 Das am 1. Dezember 1984 wiedererrichtete Friedhofskreuz in Oberndorf fand ich im September 1985 an der westlichen Außenmauer des Friedhofes. Es wurde im August 1985 von der Filmgesellschaft eigenmächtig heruntergenommen, dort hingelegt und liegengelassen ...
Abb. 233 Die Filmgesellschaft bestattete Plastiksäcke mit Erde und pflanzte auf diese Gräber sogar Blumen. Mein Neffe Reinfried und meine Nichte Karoline staunten über diese Blumengräber. 1985
Abb. 234 Das wertvolle frühgotische Fenster: Die Innenlaibung wurde, bis auf einen kleinen Teil rechts oben, herabgeschlagen, die herabgeschlagenen Teile der Laibung entfernt – eine hochgradige Kulturschändung! 1985
Abb. 235 Zertrümmerte Grabtafeln, August 1985
Kriegerdenkmal
Das Kriegerdenkmal von Oberndorf kam 1940 nach Hörmanns, wo ich es im August 1984 aufsuchte sowie die Tafel und die Zusatztafel fotografierte.
Abb. 236 Das Kriegerdenkmal in Oberndorf stand an der Straße nach Ober-Plöttbach. Der Sockel mit den Stufen ist noch in Oberndorf zu sehen.
Abb. 237 Tafeln des Oberdorfer Kriegerdenkmals, heute in Hörmanns.
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