Pfarre Neu-Pölla

Die Pfarre Neu-Pölla verlor aufgrund der Aussiedlung durch das NS-Regime vier  Ortschaften und wurde damit halbiert: hatte sie am 28. März 1939 noch 931 Bewohner, sind für 15. April 1941 nur noch 400 angegeben. 527 Katholiken wurden  zwangsentsiedelt, 4 Juden wurden deportiert. Der Verlust so vieler Bewohner aus 111 Häusern wurde nie mehr ausgeglichen, die Auswirkungen der Errichtung des Wehrmachts-Schießplatzes sind bis heute spürbar.

Abb. 484 Die Pfarrkirche von Neu-Pölla, 1996

In Felsenberg, Mestreichs und Loibenreith, die alle zur Pfarre Neu-Pölla gehörten, scheint die Zwangsaussiedelung, wenn auch - wie überall - unter Tränen, befolgt  worden zu sein. In Germanns bei Neu-Pölla stießen die NS-Behörden auf größeren Widerstand. Von den Bewohnern der 22 Häuser wehrten sich die Besitzer von drei  Häusern, den Kaufvertrag zu unterschreiben und auszusiedeln. Es waren dies die Familien Brandl (Nr.2), Eduard Hofbauer (Nr.15) und Scheidl (Nr.21).

Traurig stimmte mich die Tatsache, daß auf dem Friedhof in Neu-Pölla kaum noch Gräber der Menschen erkennbar sind, die vor der Zwangsaussiedlung gestorben  sind und aus den oben genannten Orten stammten. Die Aussiedler mußten ihre Toten zurücklassen, die politische Gemeinde hat alle Gräber von Angehörigen der  Aussiedler eingeebnet, weil sie nicht mehr eingelöst wurden. Der Ostteil des Friedhofs ist nun eine gepflegte Rasenfläche, doch erinnert kein Denkmal an die  Aussiedler der Pfarre. Könnte nicht auf dem Friedhof in Neu-Pölla ein Ehrengrab für die verstorbenen Angehörigen der Aussiedler aus den Orten Felsenberg, Germanns, Loibenreith und Mestreichs errichtet werden?

Felsenberg
Vor 1171 stiftete Otto von Purchartsdorf dem Kloster Zwettl zwei Eigengüter zu Voelsinberg. Auch das Kloster Heiligenkreuz war hier im 13. Jahrhundert begütert.  Im 16. Jahrhundert kam das Gut zur Herrschaft Greillenstein. Das Schlößchen lag mitten im Ort auf einem von einem Graben umgebenen Hügel. Davon waren gegen  Ende des 19. Jahrhunderts außer einigen Grundmauern drei Kleinhäuser und ein quadratischer Steinturm erhalten, der später als Betkapelle eingerichtet, jedoch 1905 beim Bau der Dorfkapelle abgetragen wurde.

Abb. 485 Die Kapelle in Felsenberg

Die Kapelle in Felsenberg war ein rechteckiger Ziegelbau mit halbrunder Apsis und vorgebautem Westturm, dessen Untergeschoß als Vorhalle diente. Die Nord- und  Südwand waren von je zwei spitzbogigen Fenstern durchbrochen. Immer noch lassen heute niedrige Mauerreste und das vorhandene Rund der Apsismauer die Lage der Kapelle eindeutig erkennen.  

Mestreichs
Das im Südostteil des heutigen Übungsplatzes gelegene Mestreichs war ein Mehrzeilendorf, das sich vom Fuß des Niederberges aus entlang eines Baches in  flachem, hoch gelegenem Gelände Richtung Osten nach Neu-Pölla zu erstreckte. Der Ort, der zur Gemeinde Felsenberg und zur Pfarre Neu-Pölla gehörte, bestand zur Zeit der Aussiedlung aus 36 Häusern.

Im Zwettler Stiftungsbuch (um 1311) wird der Ort Oesreichs genannt. Um 1390 war die Herrschaft Allentsteig hier begütert, später die Pfarre Alt-Pölla sowie die Herrschaften von Dobra, Greillenstein und Neunzen.

Die Kapelle von Mestreichs wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut. Sie war ein Ziegelbau mit einem Tonnengewölbe, glatter Giebelfront und je zwei rundbogigen  Fenstern an den Langseiten. Das quadratische Türmchen trug ein Zwiebelsatteldach mit Blechknauf und Kreuz. Ein Glockenhaus hatte die Gemeinde bereits 1737 erbaut

Abb. 486 Mestreichs im Jahre 1922

Abb. 487 Die Nordwestseite der Kapelle, 1984. Die Giebelmauer im Westen trägt noch Verputz.  Die Apsis der Kapelle ist von oben her teilweise abgetragen. Das Türmchen mit dem Zwiebeldach gibt es nicht mehr. Die Südseite ist gleich wie die Nordwestmauer erhalten.

Während vom Ort Mestreichs kaum nennenswerte Ruinen zu sehen sind, erweist sich die Ruine der Kapelle in Mestreichs als durchaus sehenswert. Am 9. April 1990  wurde an Ort und Stelle sogar über eine eventuelle Renovierung beraten. Ich habe die Gespräche sogar filmen dürfen.

Loibenreith

Abb. 488 Ortschaft Loibenreith

Die Ortschaft Loibenreith, eine eigene Gemeinde, die zur Pfarre Neu-Pölla gehörte, bestand zum Zeitpunkt der Entsiedelung aus 22 Häusern. Der Ortsname mit der  Silbe -reith weist wie bei zahlreichen anderen Orten auf die Gründung durch Rodung im Mittelalter hin. Im 15. Jahrhundert war Loibenreith ein landesfürstliches Lehen,  das die Herren von Dachsenbeck innenhatten.  Das Landgericht über den Ort hatte die Herrschaft Krumau am Kamp inne, die Pfarre Alt-Pölla und die Herrschaft  Greillenstein teilten sich den Besitz der Ortsobrigkeit. Heute liegen die noch beachtlichen Überreste des Ortes am Ostrand des Übungsplatzes. Die Kapelle  stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Osten und im Westen befanden sich je ein Rundbogenfenster, das Dach war mit Holzschindeln gedeckt. Über dem  Südgiebel war nach 1911 ein Dachreiter mit Blechdach und Kreuz errichtetet worden. Heute ist die Kapelle eine Ruine, die Überreste zählen jedoch zu den  umfangreicheren der seit 1938 im Schießplatz gelegenen Kapellen: die Mauern erreichen apsisseitig Gewölbehöhe, die Seitenmauern sind teilweise zerstört, auf der Eingangsseite gibt es nur noch einen Schuttkegel.

Abb. 489 Vor der Aussiedlung: Die Kapelle Loibenreith mit dem Häusern Krammer (Nr. 8), Groll (Nr. 5) und Höffler (Nr. 6)

Abb. 490 Kapelle Loibenreith, Südmauer, 1984. Die Giebelmauer ist mittlerweile bereits eingestürzt.

Abb. 491 Inneres der Kapellenruine mit dem Westfenster, 1984
Abb. 492 Südostseite der Kapelle Loibenreith, 1984
Abb. 493 Westseite, 1984
Abb. 494 Kreuzstöckl an der Kreuzung nach Loibenreith/Kittingermühle, 1984
Abb. 495 Kreuzstöckl zwischen Mestreichs und Neu-Pölla, 1984
Abb. 496 Marterl vor Germanns bei Neu-Pölla, noch im Tüpl-Gebiet gelegen,
Abb. 497 Ruine der Gransermühle, links neben dem Weg von Loibenreith zur Kittingermühle, 1984

Abb. 498 Die Kittingermühle (1984) , in einem anmutigen Tal gelegen, gehörte zur Gemeinde Loibenreith. Sie ist die einzige der zehn entsiedelten Mühlen, die erhalten blieb.

Abb. 499 Die ehemalige Kittingermühle von Südwesten (1984), heute im Besith des Militärs

Germanns
 Das Grabendorf nördlich von Neu-Pölla liegt am Fuß eines in nordwestlicher Richtung verlaufenden Höhenzuges. Der Name dieser alten Siedlung bedeutet ursprünglich Siedlung eines Germund. 1281 stiftete Otto von Thaures dem Kloster Zwettl drei Lehen in Germanns.

 Der zur Gemeinde Felsenberg und zur Pfarre Neu-Pölla gehörige Ort Germanns hatte vor dem 2. Weltkrieg 22 Häuser. Er wurde bis auf 3 Häuser (Nr. 2 Brandl, Nr. 15 Hofbauer und Nr. 21 Scheidl) entsiedelt. Heute ist der Ostteil des Ortes  wiederbesiedelt, er liegt jedoch unmittelbar an der Übungsplatzgrenze. Wenige Schritte hinter den Gehöften stehen die Warntafeln Halt! Militärisches Sperrgebiet.  Der Ort Germanns besteht heute aus acht (!) Häusern, fünf alten und drei neuen. Der Westteil des Ortes Germanns ist Übungsplatz-Gebiet, hier befindet sich ein großer  Schotterbruch zur Instandhaltung der Übungsplatz-Wege.

Die alte Kapelle von Germanns, ein Ziegelbau mit halbrundem Abschluß, je einem Rundbogenfenster, Schindelsatteldach und einem hölzernen Dachreiter, wurde  1779 erbaut. Sie wurde in der Besatzungszeit von Russen zerschossen. Die russischen Soldaten schossen von den Zimmern des Hauses Nr. 15 (Hofbauer)  durch die geschlossenen Fenster auf die benachbarte Kapelle. Das Kreuz haben die Besatzungssoldaten zwar schwer verwundet, aber nicht heruntergebracht. Die  Glocke, die noch im Turm hing, wurde von den Russen mit Schüssen durchsiebt, die Inneneinrichtung des Gotteshauses demoliert. Die Kapelle wurde zu einer  Futterkammer gemacht. Nach Abzug der russischen Besatzungssoldaten mußte die alte Kapelle von Grund auf saniert werden. Der Turm wurde, in nüchterner Form,  etwas höher gemauert. Das Kreuz wurde am Abend beleuchtet. Die Inneneinrichtung (Bänke) stammt vom Kloster der Englischen Fräulein. Am 23. Mai  1982 wurde die neue Kapelle von unserem Diözesanbischof Dr. Franz Zak geweiht.

Abb. 500 Die Kapelle in Germanns, 1984

Abb. 501 Die renovierte Kapelle in Germanns, 1994

Bei einer neuerlichen Renovierung in den Jahren 1991 bis 1994 wurden der Turm in seinem früheren Bauzustand - mit Spitzturm - wiederhergestellt und Verputz, Dach  und Fenster völlig erneuert. Die Bewohner von Germanns (in) der Gemeinde Röhrenbach renovierten unter Hilfestellung des Übungsplatzes sowie ... des  Panzerartilleriebataillons 3 ihre Kapelle... Ein Großteil der Geldmittel wurde vom Militärkommando getragen, ein weiterer Teil wurde vom Bundesdenkmalamt  beigesteuert. Im Rahmen eines Festgottesdienstes und einer kleinen Feier wurde das Kirchturmkreuz gesegnet...  Auch innen präsentiert sich die Kapelle in neuem  Glanz. Wie schön wäre es, wenn auch andere Kapellen im Aussiedelungsgebiet eine solche Auferstehung feiern könnten!

Abb. 502 Eduard Hofbauer sen. (1984) ist einer der drei Germannser Bauern, die sich dagegen  wehrten, den Kaufvertrag der NS-Behörden zu unterscchreiben. Es hätte ihm gebührt, Ehrenbürger von Germanns bzw. der Gmeinde Neu-Pölla zu werden. Eduard Hofbauer starb kurz nach seinem 90. Geburtstag im Jahre 1995.

Eduard Hofbauer sen., geboren am 14. Februar 1905, Germanns 15, war der letzte Bewohner des Ortes, der die Zeit der Aussiedlung noch erlebt hatte. Wie zwei  andere Bauern der Ortschaft hatte er den NS-Behörden Widerstand geleistet. Vor 1938 besaß er eine Landwirtschaft mit 20 Hektar. Ganze sechs Hektar Eigengrund  konnte er nach dem Krieg kaufen. Er hat die Wirtschaft seinem Sohn Eduard übergeben. Eduard Hofbauer jun., Geburtsjahr 1949, ist auch Ortsvorsteher. Er  blickt voll Zuversicht in die Zukunft. Ohne vom Übungsplatz-Gebiet Grund pachten zu können, wäre aber seine Wirtschaft - die einzige des Dorfes - nicht mehr lebensfähig.

Eduard Hofbauer sen. hat mich sehr ausführlich über sein geliebtes und leidgeprüftes Germanns bei Neu-Pölla informiert. Er war auch der Initiator für den Wiederaufbau der Ortskapelle.

Abb. 503 Germanns Nr. 15, das Haus der Familie Hofbauer, 1984. Es ist heute das einzige Bauernhaus der Ortschaft.

Vier Marterl im entsiedelten Gebiet der Pfarre Neu-Pölla  

Abb. 504 Bildstock Felsenberg

Abb. 505 Bildstock bei Neu-Pölla
Abb. 506 Bildstock nahe Germanns bei Neu-Pölla
Abb. 507 Krönung Mariens: Bildstockgemälde von Felsenberg

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