Döllersheim nach dem Krieg
Karl Fröschl kam 1942 als Dreißigjähriger nahezu erblindet aus dem Krieg nach Hause. Döllersheim war zu dieser Zeit total entsiedelt. Die Fenster seines Hauses waren mit Brettern vernagelt, Blumenstöcke waren darauf gezeichnet. In Döllersheim war nicht einmal eine Katze. In Franzen findet Karl Fröschl eine Notunterkunft. Er weigert sich, den Verkaufsvertrag zu unterschreiben und wird enteignet. Nach dem Krieg hätte auch Döllersheim - wie die meisten Ortschaften im Aussiedlungsgebiet - durchaus wiederbesiedelt werden können, da "während des Krieges die Truppen angewiesen wurden, den Ort Döllersheim nicht unter Beschuß zu nehmen, weil es sich bei der Ortschaft um die Vaterheimat Hitlers handelte. (...) Der ehemalige Markt Döllersheim machte damals noch einen verhältnismäßig gut erhaltenen Eindruck. Mit nicht allzu großen Kosten wäre es möglich gewesen, die Häuser wieder instand zu setzen und das frühere Ortsbild wieder herzustellen."
Abb. 298 "Eine Ruine hütet Ruinen": Döllersheim im September 1955
Abb. 299 Döllersheim 1955
Eine Ruine hütet Ruinen
Dir. Willinger notierte seine Eindrücke von einem Besuch in Döllersheim im September 1955 im damaligen Kirchenblatt der Diözese im St. Pölten, Nr. 40/1955:
Quer durch den Truppenübungsplatz läuft eine Straße von Allentsteig südwärts. Ihre Kurven sind ausgeglichen, Aufschüttungen und Durchstiche bei hindernden Hügeln haben sie zu einer vorzüglichen Autostraße gemacht, wären nur die Schlaglöcher nicht Legion! Links und rechts ruhen Wälder und wild bewachsene Flächen - einst sorgfältig betreute Äcker und Wiesen. Mauerreste zwischen Gebüsch und etliche Obstbäume ohne jede Frucht zeigen, wo vor Jahren Schlagles und Söllitz standen. Schließlich taucht hinter dem auslaufenden Waldrücken des Donaberges ein Gemäuer auf, ähnlich der massiven Ruine eines zerfallenen Schlosses. Es ist der Kirchturm-Rest von Döllersheim. Zu seinen Füßen liegen wie eine tote Herde die Ruinen von rund 120 Häusern. Die herbstlich vergilbenden Laubbäume mischen eine eigene Stimmung in das Bild.
So wie die anderen Ortschaften und Pfarrkirchen erlitt auch Döllersheim erst von der Zeit der Besatzung an das Schicksal der Entweihung und Zerstörung. Ein Augenzeuge: "Das Dach der Kirche in Döllersheim wurde nach 1950 (!) von einem Deutschen abgetragen. Die Leute haben sich eh recht aufgeregt. Es hat ihnen aber nichts genützt, weil die Russen ihm gegen Bezahlung die Erlaubnis dazu gaben." Im Jahr 1952 wurde von den Besatzungssoldaten mit einem Drahtseil und einem Dreiachser - unter der Leitung zweier Kommunisten aus Zwettl - auch das Turmdach abgetragen.
Der Ruinenort Döllersheim im September 1955
Im Herbst 1955, knapp ein halbes Jahr nach dem Staatsvertrag, waren - wie die Bilder belegen - zahlreiche Gehöfte im Aussiedlungsgebiet noch weitgehend erhalten und durchaus zu retten. Bis zur Übergabe an das österreichische Bundesheer im Mai 1957 wurde der ehemalige Truppenübungsplatz Döllersheim durch das Land Niederösterreich verwaltet. Es drängt sich die Frage auf, wer mit wessen Genehmigung diese Häuser abgedeckt und das Baumaterial verkauft hat!
Abb. 300 Ruinenort Döllersheim, 1955: Die Häuser "wie eine tote Herde" zu Füßen der Kirche
Abb. 301 "Angklagte geborstnes Gemäuer...": Wenig mehr als ein Jahrzehnt zuvor waren die Häuser noch besiedelt.
Abb. 302 Häuser mit Dächern gab es in Döllersheim noch im September 1955
Abb. 303 Die geköpfte Florianistatue in Döllersheim, 1955
Abb. 304 Ein Bauerngehöft: "Was schonten Geschoße und Flammen, Wind tilgt es und Regen und Frost. Der Urwuchs erwacht auf den Böden..." (Wilhelm Szabo)
Der spätere Kardinal König besucht Döllersheim
Abb. 305 Bischofkoadjutor Dr. Franz König, P. Prior Josef Leutgeb (li.) und P. Bertrand Baumann von Stift Zwettl (re.) nach der Besichtigung der Kirchenruine in Döllersheim, Ende September 1955
Dir. Willinger im Kirchenblatt für die Diözese St. Pölten am 2. Oktober 1955: "Zur Kirche hinauf buckelt der struppig überwachsene Weg die Grundfelsen heraus wie ehedem. Über die heilige Stätte selbst breitet sich ein Greuel der Verwüstung. Der Altarunterbau ragt gleich einem zerschundenen Stumpf aus dem Pflaster. Daneben liegt der Rest des Sakramenthäuschens mit seiner gotischen Skulptur, aus der Wand gebrochen - denn man suchte dahinter vermauerte Schätze. Das südliche Seitenschiff hat noch sein Gewölbe. Mitten in der Kirche aber steht man unter freiem Himmel. Der Turm ist geköpft und hat gewiß nur in der Hussitenzeit so böse Tage erlebt wie in den Jahren ab 1949. Denn zu Kriegsende war Döllersheim noch Döllersheim. Ein russischer Pope konnte dort kurz zuvor für die deutsch-freundlichen Wlassow-Truppen Gottesdienst feiern, erzählt uns wieder P. Prior, der es als nächster Dechant in den vergangenen Jahren mehrmals wagte, in diesen Gebieten Nachschau zu halten. 1947 hing sogar die Glocke noch im Turm. Dann erst kam die Verwüstung: Granaten und Plünderer, Zivilisten unter dem Deckmantel der USIA haben auch hier eine traurige Rolle gespielt. `Dachbalken und Ziegel gab ich für Wein ...´ Der Döllersheimer Friedhof, einer der stimmungsvollsten des Waldviertels, ist eine Wildnis. Und überall stellten wir bisher fest: Bis auf unbedeutende Stücke sind alle Grabsteine von den Friedhöfen fortgeschleppt ..."
Die Kirche in Döllersheim war im September 1955 in einem weit schlechteren Zustand als die Kirche in Edelbach!
Abb. 306 Die Südseite der Kirche in Döllersheim. Die beiden gotischen Fenster (vom südlichen Seitenschiff des Langhauses) haben ein ganz eigenartig schönes Maßwerk. 1955 war leider kein Fensterglas mehr vorhanden. Das Südschiff hatte von etwa 1950 bis 1976 kein Dach, das Gewölbe hielt aber dem Witterungseinfluß stand. Das Foto stammt von meinem Hochschulprofessor Dr. Karl Frank, 1955
Abb. 307 Zustand der Kirche im Jahre 1955, aufgenommen vom Altarraum aus. Blick von Osten gegen die mit Schutt beladene Musikempore. Sogar auf den Rippenansätzen liegt noch Schutt. 1950 (!) Fünf Jahre zuvor hatte es, wie Pfarrer Wiesinger versicherte, das Gewölbe des Hauptschiffs noch gegeben.
Abb. 308 September 1955: Das Gewölbe des südlichen Seitenschiffs (li.) ist unversehrt, das nördliche Seitenschiff hatte damals kein Gewölbe, wie auch auf diesem Bild (re.) zu erkennen ist.
Abb. 309 Der Altarraum über dem Gewölbe im September 1955. Das Chor ist gleich breit, aber beträchtlich höher als das Mittelschiff war.
Abb. 310 Das spätgotische Gewölbe des Altarraumes im September 1955. Es handelt sich um zwei Kreuzrippengewölbejoche mit seitlich-spitzbogigen Stichkappen sowie Abschlußgewölbe mit spitzbogigen Stichkappen. Die Rippen haben ein birnenförmiges Profil.
Abb. 311 Das einzige Inventar, das die Kirchenruine in Döllersheim noch hat, ist dieses zylindrische Taufbecken aus dem 15. Jahrhundert mit achteckiger Basisplatte. Am Boden lagen damals ein Stahlhelm und ein halbverbrannter Balken. Die Kircheneinrichtung und die Orgel waren schon bald nach dem 2. Weltkrieg verwüstet worden.
Vom Dschungel verschlungen
In "JA. Zeitschrift junger Christen", 12. August 1987, S. 11, ist unter "Ruf nach Frieden" zu lesen:
Döllersheim muß einstens eine malerisch auf einem Abhang gelegene Ortschaft gewesen sein. Mit vielen anderen Ortschaften mußte es jedoch unter Hitler "umgewidmet" werden. Die Bewohner wurden zwangsumgesiedelt, die Häuser zerstört. Wer schon einmal von alten südamerikanischen Indianerkulturen gelesen hat, die der Dschungel verschluckte, der findet hier gewisse Ähnlichkeiten.
1956
Abb. 312 Der Bus der "Wiener Illustrierten" fährt von Allentsteig kommend in den Ruinenort Döllersheim ein. Am Bild ganz links ist die Ruine des Spitals zu erkennen; rechts der Verlauf der alten Durchfahrtsstraße.
Abb. 313 "Über dem einstigen Kirchenschiff wölbt sich der freie Himmel. Die Stadt Allentsteig feiert ‚800. Wiederkehr ihrer Gründung. Die Rundfahrt durch das Gebiet von Döllersheim wurde den Heimatvertriebenen von der ‚Wiener Illustrierten bezahlt. Erschüttert betrachten sie den Altarraum und ‚beteten, daß man sie bald wieder heimkehren läßt."
Abb. 314 "Und das Dickicht schlug drüber zusammen": "Erschüttert standen die ehemaligen Bauern von Döllersheim jetzt (1956) vor dem Grabe ihrer Habe. ‚Was soll aus diesem Ödland werden?, fragten sie. Und: ‚Wird man uns wieder heimkehren lassen?"
Abb. 315 "Diese Frau schämt sich ihrer Tränen nicht. Sie fand wohl den Ort des Grabes ihrer verstorbenen Angehörigen im mit Gras überwucherten Friedhof, aber keinen Grabhügel mehr." (1956) in den letzten Jahren wurden Aufbauarbeiten für Friedhof und Kirche geleistet – aber leider nur in Döllersheim.
Die Jahre 1982/84
Im Sommer 1982 unternahm ich die beiden ersten Erkundungsfahrten zu den Ruinen der Sakralbauten von Döllersheim. Oft führte der Weg durch Lupinen und Schneebeerstauden. Begleitet wurde ich von meiner Mutter Karoline Müllner und meiner Nichte Heidelinde Schmid.
Abb. 317 Ansicht von Südosten mit Schule (li.) Kirchturm und Südmauer der Pfarrhofruine (re.). Auch meine Mutter begleitete mich im Sommer 1982 zu den Resten von Döllersheim.
Abb. 318 Kirchen- und Pfarrhofruine von Döllersheim von der Ostseite. Hochsommer 1982. Auf dem Bild rechts steht meine Nichte Heidelinde Schmid, heute Fachärztin für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Wien.
Abb. 319 Ansicht von Südosten: Schule (eingerüstet), Kirchturm und Südmauer des einstigen Pfarrhofes, 1984
Ab Sommer 1976 nahm die Bundesgebäudeverwaltung (BGV) Allentsteig unter Leitung von Amtsdirektor RegR Ing. Heinrich Stangl große Mühe auf sich, um den weiteren Verfall des Gebäudes zu verhindern und aus der Kirchenruine wieder eine Kirche zu machen: die Wiederherstellung des Vorbaues vor der Eingangstür, die Eindeckung des Altarraumes, der Seitenschiffe, des Vorraumes, ab 1984 die Eindeckung des gesamten Sängerchores und schließlich des gesamten Kirchenschiffes. Zudem erfolgte die Herausnahme von Döllersheim aus dem militärischen Sperrgebiet."
Abb. 320 Die spätgotischen Südfenster des Altarraumes mit dem üblichen Maßwerk, 1984
Abb. 321 Blick vom Altarraum in das Hauptschiff mit dem neuen Dach: Die Wiederherstellung des Sängerchores wurde 1984 vollendet. 1984
Abb. 322 Die Südfront der Kirche in Döllersheim: der spätromanisch-gotische Turm, das dreischiffige Langhaus (nach 1427) und der Altarraum (um 1400) aus der Gotik. Die gotischen Fenster wurden einstweilen vermauert. 1984
Abb. 323 Innenansicht der Kirche, Nordwestseite, 1984
Die Döllersheim-Affäre - das größte Verbrechen der II. Republik? "
Unter diesem Titel erschien im Sommer 1984 ein Artikel von Rupert Th. Leutgeb. Er ist der Nachkriegsgeschichte des Waldviertels und dem Leidensweg der Zwangsaussiedler, insbesondere derer der letzten Entsiedlungsetappe, die um all ihren Besitz gebracht und niemals entschädigt wurden, gewidmet. "
Das Wehrkreiskommando errichtete ab dem 7. Juli [1938] - nach Plänen aus dem Jahr 1936 - den Truppenübungsplatz Döllersheim, den heutigen Tüpl Allentsteig. Insgesamt 42 Ortschaften waren von der Aussiedelung betroffen... Ab dem 8. August 1938 wurde täglich scharf geschossen...
Alle existenzlos gewordenen Familien mußten zum Teil fluchtartig Haus und Hof verlassen und in Notwohnungen untergebracht werden. Der durch die ungünstige Kriegslage (1942) nicht mehr verfügbare Grund und Boden wurde von der Deutschen Ansiedlungsgesellschaft, nicht wie gesetzlich vorgesehen, in Land bzw. Grund, sondern in Reichsmark gewährt und auf ein Sperrkonto hinterlegt...
In einem Antwortschreiben an einen Aussiedler, der sich über die Vorgänge noch Jahre später beschwerte, schrieb Bauernbunddirektor Dipl.-Ing. Hartmann (späterer Landeshauptmann), daß die seinerzeit in Reichsmark hinterlegten Besitzentschädigungen keine Deckung und somit nur einen fiktiven Wert hätten, daher bei der Währungsreform nicht berücksichtigt werden konnten, da die österreichischen Goldreserven vom Deutschen Reich verschleppt worden waren...
Rückstellungsanträge der Ausgesiedelten
Sämtliche durch die Währungsreform um ihre Besitzentschädigung geprellten Familien reichten 1948 aufgrund der Rückstellungsgesetze beim Außensenat im Kreisgericht Krems sogenannte Rückstellungsanträge ein. Diesen Rückstellungsbegehren wurde in 1. Instanz rechtgegeben. Die Begründung war: Das friedliebende Österreich hätte für seine kleine Wehrmacht nie einen so gigantischen bzw. überdimensionierten Truppenübungsplatz angelegt... Dieser Erkenntnis schloß sich im "Rückstellungsverfahren Hammerschmied" in letzter Instanz auch die oberste Rückstellungskommission beim Obersten Gerichtshof an. Somit wurde auch das vom deutschen Reich beanspruchte Gebiet des Truppenübungsplatzes Döllersheim als entzogen anerkannt und im Sinne des 3. Rückstellungsgesetzes rückstellungspflichtig. Sämtliche Rückstellungsverfahren wurden durch das Veto der Alliierten eingestellt und ... bis zum Abzug der Besatzungsmächte vertagt. Nach Abschluß des Staatsvertrages und Abzug der Besatzungsmächte im Jahr 1955 wurden auf Grund der Bestimmungen im 2. Staatsvertragsdurchführungsgesetz alle ruhenden Rückstellungsverfahren von der betrauten Kommission zur Abwicklung an die Finanzlandesdirektion übertragen, wo sie, obwohl einer Rückstellung nichts mehr im Wege stand, wiederum drei weitere Jahre behandelt wurden... Nun - kurioserweise nach dem Staatsvertrag - nahm das "größte Verbrechen in der Geschichte der Zweiten Republik" weiter seinen verhängnisvollen Lauf. Die noch immer in menschenunwürdigen Notwohnungen hausenden Rückstellungswerber wurden vertröstet, wobei man ihnen dauernd versicherte, daß sie nicht vergessen wurden(!). Entgegen diesen glaubwürdigen und von höchsten Stellen gegebenen Versprechungen wurde am 10. Juli 1957 das unglaublich drakonische 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetz erlassen. Durch dieses ... Verstaatlichungsdiktat wurde trotz höchstrichterlicher Erkenntnis und obwohl Österreich nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches war, die Rückstellungspflicht aufgehoben und ohne Rücksicht auf die besitzlos gewordenen Familien das Deutsche Wehrmachtseigentum von Döllersheim zugunsten der Republik eingezogen. Der Gesetzgeber, also die Republik Österreich, kümmerte sich einen "Dreck" (wie ein Ausgesiedelter in einem Brief an einen Nationalrat schrieb) um die Heimatvertriebenen..."
Gleiches Recht für alle" gilt nicht für den Fall Döllersheim!
Den rassistisch und politisch Verfolgten wurde ihr Eigentum wieder zurückgegeben bzw. abgegolten... So schrecklich die hier beschriebenen Tatsachen klingen, es handelt sich ... um eine von der Republik Österreich gebilligte Enteignung des Besitzes von mehreren tausend Bewohnern aus 42 Katastralgemeinden...
Aus dem ehemaligen deutschen Wehrmachtseigentum wurden nach 1958 zirka 3550 Hektar zur Wiederbesiedlung freigegeben. Dieses Gebiet sollte ... an jene Familien zur Wiederbesiedlung und Wiedergutmachung übertragen werden, die seinerzeit bei der Errichtung des Truppenübungsplatzes Döllersheim ihren Besitz an die deutsche Wehrmacht abgeben mußten und durch eine unglückliche Verkettung von Umständen (Kriegseinwirkung, Währungsreform usw.) keinen Ersatzbesitz erwarben oder den erworbenen Besitz an die Voreigentümer wieder entschädigungslos rückstellen mußten. Diese gesetzlichen Durchführungsbestimmungen wurden von höchster Stelle des Landes nicht im geringsten ernst genommen. Von den genannten 3550 Hektar wurden von Landeshauptmann Steinböck als damaligem Verwalter über das ehemalige deutsche Wehrmachtseigentum von Döllersheim 3000 Hektar beansprucht. Um den Anschein einer Rechtshandlung zu wahren, wurde als Begründung angegeben, daß die weiterhin im Truppenübungsplatz verbliebene Windhagsche Stipendienstiftung von Gr. Poppen im Rückstellungswege wieder herzustellen und anderweitig zu verlegen sei. Festgestellt werden muß, daß ... auch die Windhagsche Stipendienstiftung von Gr. Poppen, Rausmanns und Neunzen mit einem Flächenausmaß von 1000 Hektar, genauso wie auch alles übrige Bauernland 1938 vom Deutschen Reich beansprucht wurde und daher als deutsches Wehrmachtseigentum auf Grund der Bestimmungen im 3. Staatsvertragsdurchführungsgesetz ... jeden gesetzlichen Rechtsanspruch auf Wiederherstellung bzw. Rückstellung eingebüßt und verloren hatte.
Wenn diese ... Stiftung ... wieder errichtet wurde und noch dazu in dreifacher (!) Größe auf uralten, den Bauern entzogenen Boden verlegt werden konnte und alle übrigen existenzlos gewordenen Rückstellungswerber abgewiesen wurden, kann diese sogenannte "Wiederherstellung" ... in keinem ordentlichen Rückstellungsverfahren erfolgt sein. Daß diese Rechtshandlung mit dem Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger unvereinbar und in jeder Hinsicht verfassungswidrig ist, schreit aus jeder Zeile der damaligen Akten..."
Abb. 324 Blick auf das Hauptschiff und in den Altarraum von der Tür aus, die vom Turm in das Sängerchor führt, 1984
Abb. 325 Der Altarraum im August 1984. Die Statue des hl. Florian (links unten) war geköpft worden. Nach der Restaurierung steht sie nun wieder auf dem Brunnen vor dem Pfarrhof.
Abb. 326 Das Gewölbe des Altarraumes im August 1984. Die neuen Rippen wurden im Jahre 1982 eingesetzt.
Abb. 327 Südwestecke der Sakristei, mit den Stufen zur ehemaligen Kanzel, 1984
Abb. 328 Das eindrucksvolle Steingewölbe der Sakristei in Döllersheim, August 1984
Abb. 329 Steinstufen im spätromanischen Unterteil des Turmes – dem ältesten Bauteil der Kirche, 1984
Abb. 330 Eines der Spitzenbogenfenster des Turmes, 1984
Abb. 331 Pfarrer Müllner am Kirchturm in Döllersheim. Die Mauern des Turmes haben ein Schutzdach aus Zementmörtel. Die Turmstiegen sind mit einem Holzaufbau überdacht.
Abb. 332 Blick von der Ostmauer des Turmes: Altarraum mit Dach, Hauptschiff, 1984
Das Spital
Abb. 333 Das Spital in Döllersheim
Das Spital in Döllersheim bestand seit 1592 und war damit eines der ältesten Spitäler im Waldviertel. 1660 stiftete Freiherr Johann Franz von Lamberg auf Ottenstein testamentarisch 1000 Gulden für das Spital für 12 verarmte Untertanen seiner Herrschaft. Dieses Spital wurde als gleichschenkeliges Kreuz errichtet, dessen zweigeschossiger, quadratischer Mittelblock die Kapelle enthielt. Der Altar wurde 1665 errichtet, geschmückt von einem großen Altarbild (33 Schuh Höhe) und lebensgroßen Statuen der Apostel Petrus und Paulus. Unter Kaiser Joseph II. wurde die Spitalskapelle 1786 aufgelassen, 1804 brannte das Spital ab, wurde aber in der alten Form wiederhergestellt.
Abb. 334 Spital in Döllersheim, August 1984
Abb. 335 Spital in Döllersheim, 1996
Von dem umlaufenden Gang aus, der zu den Zimmern der Patienten führte, konnten diese durch Fenster am Gottesdienst teilnehmen. In den vier Winkeln der Umfassungsmauer befand sich je ein Gärtchen. Es war dies "ein ehemals seltener Bautyp eines Gebäudes zur Aufnahme sozialer Einrichtungen". Eine architektonische Parallele, allerdings größer dimensioniert, findet sich z.B. im Ospedale Maggiore (Großes Krankenhaus) von Mailand, das heute die Universität beherbergt.
Der Friedhof in Döllersheim - Allerseelenfeier der Aussiedler
Abb. 336 Die Kirchenruine, umgeben von dem verwilderten Friedhof, im Jahre 1955
Auf dem Friedhof in Döllersheim, der sich an die Nordmauer der Kirche anschließt, wurden vom Jahre 1313 bis zum Jahre 1942 mindestens 25.000 Menschen bestattet. In den Sterbebüchern der Pfarre Döllersheim, die von 1654 bis 1942 geführt wurden, sind die Namen von 15.225 Menschen verzeichnet. Sie alle wurden in diesen 288 Jahren auf dem Friedhof bestattet. Zur Pfarre Döllersheim gehörten 419 Häuser, deshalb wird es an die 400 Gräber gegeben haben. Der Karner auf dem Friedhof war bereits im Jahre 1802 abgerissen worden. In der Besatzungszeit wurden Grabsteine und Kreuze fortgeschleppt. Ein Augenzeuge erinnert sich: "Am Friedhof waren alle Grabkreuze auf einem Haufen, die Namensschilder mit weißer Farbe überstrichen und zum Abtransport bereit..." In den folgenden Jahren verwilderte der Friedhof.
Während am Friedhof von Oberndorf erst am Sonntag, dem 3. November 1985, die erste Allerseelenfeier nach dem Krieg stattfinden konnte, finden diese auf dem Friedhof in Döllersheim schon seit 1957 statt. Nach dem "Döllersheimer Nachrichtenblatt" von 1987 ging die Initiative angeblich vom Bundesheer aus. Der damalige Tüpl-Kommandant, Oberst Zejdlik, ermöglichte 1957 die erste Allerseelenfeier nach dem Krieg und lud die Bevölkerung, besonders die Aussiedler, herzlich dazu ein. Vergessen wir nicht, daß Friedhof und Kirchenruine damals noch im Sperrgebiet lagen! Er ließ den gesamten Friedhof durch das Bundesheer von Wildwuchs befreien und auf den noch erkennbaren Gräbern einfache Birkenkreuze errichten, und die wenigen unter dem Wildwuchs liegenden Grabsteine wieder aufrichten. Die kirchliche Feier hielt der 1886 in Wetzlas geborene Dechant Gottfried Kurka von Gföhl.
Hatten sich in Oberndorf bei der Friedhofspflege im Dezember 1984 doch noch mehrere Grabsteine unter dem Wildwuchs gefunden, so waren es in Döllersheim nur mehr wenige. Grabsteine sollen nämlich vom Friedhof in Döllersheim abgeholt und zur Pflasterung von Werkstätten verwendet worden sein. Die eisernen Kreuze auf allen vier Tüpl-Friedhöfen wurden von Alteisenhändlern entfernt.
Seit 1957 hilft das Bundesheer, die Gräber zu pflegen. Vielleicht mit mehr als gutem Grund, denn das Bundesheer darf doch auf dem Gebiet üben, das einst den Menschen gehört hatte, die nun in den Gräbern der vier Tüpl-Friedhöfe ruhen. Diese Verstorbenen sind in diesem Sinn die Ahnen unseres Bundesheeres. Der chinesische Staats- und Sittenlehrer Konfuzius sagte schon 500 Jahre vor Christi Geburt: "Die Kultur eines Volkes erkennt man daran, wie es die Gräber seiner Ahnen pflegt." In aller Aufrichtigkeit und ohne jede Ironie drängt es mich, diesen Satz zu formulieren: "Die Kultur eines Heeres erkennt man daran, wie es die Gräber und Friedhöfe derer pflegt, auf deren ehemaligem Lebensraum es heute üben darf."
Nur die Toten durften bleiben
Allerseelen, 13 Uhr, Döllersheim ... Einmal im Jahr versammeln sich hier die Ausgesiedelten zu einer Messe... Hier wird nicht nur für die Döllersheimer Vorfahren gebetet, man gedenkt der Toten aus dem gesamten entsiedelten Gebiet. Die Toten sind die einzigen, die bleiben durften.
Peter und Barbara Krobath, Tages Anzeiger, Magazin, 16. Juli 1988, S. 35
Neben anderen sorgte sich auch der in Groß-Globnitz im Waldviertel geborene und 1984 bei einem Verkehrsunfall getötete P. Placidus Scherr, Benediktiner aus Seckau, als Pfarrer von Franzen und St. Marein mit Jugendlichen um die Gräberpflege in Döllersheim.
Nach 1985 wurde zum Teil in privater Initiative begonnen, mit Hilfe der BGV Allentsteig und mit Unterstützung des Bundesheeres, des Österreichischen Schwarzen Kreuzes und des Volksbundes der Deutschen Kriegsgräberfürsorge, die Birkenholzkreuze wieder durch eiserne zu ersetzen, die aus allen Teilen Niederösterreichs gespendet wurden. Im Juni 1981 waren der Friedhof ebenso wie die Kirche und das Spital von Döllersheim sowie der Dürnhof bei Stift Zwettl "laut Bundesgesetz vom militärischen Sperrgebiet ausgenommen und für alle frei zugänglich" gemacht worden.
Die Allerseelenfeiern leiteten abwechselnd Dechant Gottfried Kurka von Gföhl, der ehemalige Pfarrer von Döllersheim, Anton Haller, GR Wiesinger von Rastenfeld und GR Wimmer von Friedersbach. Im Jahre 1976 konnte "zu der bereits zur Tradition gewordenen Allerseelenfeier auch die Kirche betreten werden."
Abb. 337 Allerseelenfeier auf dem Friedhof von Döllersheim mit Pfarrer Haller, 1961. Er wäre 1976 gerne wieder nach Döllersheim gekommen, erkrankte jedoch kurz vorher und starb am 5. November.
Abb. 338 Der Friedhof von Döllersheim, 1964. Bis 1976 gab es noch Birkenkreuze. Im Hintergrund sind das Presbyterium und das nördliche Seitenschiff der Kirche – beide noch ohne Dach . zu sehen.
Verdienste um die Erhaltung von Kirche und Friedhof in Döllersheim hat sich RegR Ing. Heinrich Stangl, der ehemalige Leiter der Bundesbaudirektion Wien - Gebäudeverwaltung Allentsteig, erworben. Noch heute gibt es mehr als 360 Grabstellen. 97 Gräber tragen Tafeln oder Steine mit Inschriften (nur wenige sind unleserlich), sie bewahren das Andenken an Bewohner aus allen Ortschaften der Pfarre. In der Nordostecke des Friedhofs liegt die Grabstätte des Heinrich Graf Lamberg und seiner Gattin Gräfin Eleonore, geborene Prinzessin zu Schwarzenberg. Graf Lamberg war Geheimer Rat, General der Kavallerie und bis zu seinem Tod 1929 Besitzer des Schlosses Ottenstein.
Bereits im Ruhestand befindlich, sorgt sich Stangl heute als Obmann des Vereins "Freunde der Alten Heimat" um den Friedhof in Döllersheim. Von 1982 bis 1994 gab er jedes Jahr zur Allerseelenfeier am 2. November das "Döllersheimer Nachrichtenblatt" heraus, gemeinsam mit meinem Mitbruder Josef Nowak, Stadtpfarrer von Allentsteig. 1995 und 1996 erschien kein "Döllersheimer Nachrichtenblatt".
Seit 1957 also gedenken die Aussiedler bei der Allerseelenfeier am 2. November in Döllersheim der in der Alten Heimat zurückgelassenen Toten. Bei der Allerseelenfeier am 2. November 1983 feierten mehr als 1.000 Menschen in Döllersheim die Hl. Messe mit. Zu Allerseelen 1984 konnte ich mit Stadtpfarrer Josef Nowak die Hl. Messe in Döllersheim in der Kirche feiern. Rund 1.000 Menschen, größtenteils Aussiedler bzw. deren Angetraute oder Nachkommen, trafen sich am Samstag, dem 2. November 1985 in Döllersheim zur 28. Allerseelenfeier. Weihbischof Dr. Alois Stöger feierte das Requiem mit Abt Bernhard Naber OSB von Stift Altenburg und den Pfarrern Johannes Pöllendorfer (Alt-Pölla), Josef Nowak (Allentsteig) und Johannes Müllner (Roggendorf). Seit 1992 leitet Pfarrer Johannes Pöllendorfer aus Alt-Pölla die Allerseelenfeiern. 1995, als Weihbischof Fasching die Feier hielt, waren es immer noch 600 Besucher - zudem fand gleichzeitig eine Allerseelenmesse auf dem Friedhof Edelbach statt.
Abb. 340 Friedhof und Kirche von Norden, August 1984
Abb. 341. Presbyterium von Nordosten, 1984. An der Nordseite der Kirche dürften keine Grabtafeln angebracht gewesen sein.
Abb. 342 Das Grab der Familie Sekyra aus Döllersheim 48. Der Vater von P. Dr. Wilhelm Sekyra, wurde hier am 28. Oktober 1942 bestattet. "Auf seinem Grab steht die Fichte, die damals als kleines Bäumchen gesetzt wurde."
Abb. 343 Der gepflegte Friedhof in Döllersheim vom Kirchturm aus, 1984
Abb. 344 Priestergrabstein, 1985
Die verlorenen Dörfer
Am Rand der Wiesen verwilderte Obstbäume, vom Wind verwehte Blumen aus lang verschwundenen Bauerngärten. Wer genau schaut, entdeckt unter üppiger Flora Ruinen von Häusern, Kirchen, Bildstöcken und Kapellen.
Im Hochsommer wiegen sich schulterhohe Goldrute und Weidenröschen über den Mauerresten der uralten Siedlung Döllersheim und geben ihnen eine trügerische Romantik. Reste von blauem Putz leuchten von den zerfallenden Häusern, aus den Fensterhöhlen sprießen Ebereschen mit leuchtendroten Früchten. Eine Kirchenruine mit Turmstumpf und notdürftig eingedeckten Gewölben. Wie es wohl damals aussah, als der Turm vom Dachdecker mit Kreuz und Hahn bekrönt wurde...?
Abb. 345 Vor der Pfarrkirche in Döllersheim befindet sich eine der wenigen Gedenkstätten für die Aussiedlung: eine kleine Steintafel mit der Inschrift:" Die alte Heimat", 1996
Zu Allerseelen treffen einander die letzten, die noch solche Geschichten aus den verlorenen Dörfern wissen. Es werden immer weniger - Kinder und Kindeskinder haben längst woanders Wurzeln geschlagen. Nur die Alten kehren immer wieder, zu den verlassenen Gräbern ihrer Verwandten, zu improvisierten Gedenkstätten. Und zu Erinnerungen, die immer mit den gleichen Worten wachgerufen werden: "Auf oamal hats ghoaßn, mia miaßn weg!"
Aus dem Buch "Landschaft für Genießer. Waldviertel - Wachau - Weinviertel" von Eva Bakos, Wien 1994, S. 159
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... und über das Gebiet rund um Döllersheim: www.allentsteig.at www.walthers.at