...eine Folge des traurigen Heimatverlusts
Meine Eltern waren unter den Betroffenen, sie besaßen das bäuerliche Gut Edelbach Nr. 1. Sie mußten Haus, Hof, Wiesen, Wald und Felder 1938 innerhalb von sechs Wochen zwangsweise verlassen. Sogar die reife Ernte mußte zurückgelassen werden. ... Mit dem Pferdewagen fuhr nun mein Vater alleine - meine Mutter war schwanger und hatte ein Kleinkind zu versorgen -, um Erkundigungen über Ersatzbauernhöfe einzuholen. ...
Die schönen alten Möbel wurden auf die Pferdewagen gepackt und die Habseligkeiten dazu. So ging es Wagen um Wagen auf holprigen Straßen ... dem 80 km entfernten neuen Heimatort zu, der im Weinviertel lag [Stoitzendorf bei Eggenburg]. Dort mußten sich meine Waldviertler Eltern erst mühsam in die Wein- und Kellerarbeit einarbeiten.
Jahre später mußten sie durch einen Rückstellungsantrag - es hieß fälschlicherweise, das Haus wäre ein Zwangsverkauf gewesen - ein zweites Mal die Geldmittel für den Hof [im Weinviertel] aufbringen. Sie stürzten sich in finanzielle Schwierigkeiten, mein Vater und mein Onkel, der bei uns lebte, erkrankten an den Sorgen. ... Ein Onkel aus der alten Heimat war ebenfalls zu betreuen. Er litt später an Krebs und starb schließlich qualvoll.
Mein Vater erlitt eine schwere, langwierige Nervenkrankheit, deren Behandlung zum finanziellen Ruin und schließlich zu seinem Tod führte. Meine Mutter war völlig am Ende. Ich hatte an ihrer Stelle auf Kosten einer höheren Schulbildung die Pflege des Vaters übernehmen müssen. Die Krankheiten der beiden Männer waren sicher eine Folge des traurigen Heimatverlustes.
Elisabeth Schöffl-Pöll, Das Döllersheimer Ländchen, in: Sie erzählen, was sie erlebten. 1945-1955, Hg. Sepp Bauer, NÖ Pressehaus, St. Pölten 1995, S. 273-274
Eine der größten Tragödien Österreichs
Der `Führer´ ... will einen Truppenübungsplatz, ausgerechnet rund um den Geburtsort seines Vaters, und beginnt unbarmherzig mit der Entvölkerung dieses Landstrichs, um den Tüpl Döllersheim´ zu schaffen. Eine der größten Tragödien Österreichs in Friedenszeiten nimmt ihren Lauf.
Hitler befiehlt eine in der jüngeren Geschichte einzigartige großflächige Verwüstung von Kulturland. Er zerstreut die Bewohner seiner `alten Heimat´ in alle Winde, tastet aber ihre Häuser nicht an, er schafft nur eine Art Freilichtmuseum des Krieges."
Hubert Margl, Dörfer ohne Schatten, In: Die Presse, 18./19. Juni 1988, Beilage S. III
Abb. 569 Die Presse: Kriegsgeräte gegen Friedenssymbol – Panzersperre vor Kirche (NÖ Militärkommando)
... eine mörderische Leistung
Die Ereignisse von 1938 waren kein übermächtiges Schicksal, keine Tragik, die vom Himmel fiel, sondern Menschen haben es getan. Unter dem Kanon an Begriffen, die abgespult werden, heben viele die tollen organisatorischen Leistungen der Hitler-Ära, das sog. `Autobahnsyndrom´ hervor. Die Aussiedelung von 7000 Menschen ist auch eine `großartige´ Leistung - letzten Endes eine mörderische Leistung.
MinR Dr. Hans Temnitschka, BM für Unterricht und Kunst, bei der Präsentation des Films Erinnerungen an ein verlorenes Land in Allentsteig am 22. Oktober 1988, zitiert nach Die Neue/Zwettler Nachrichten 25.10.1988
Frühe Erfahrung der Wehrlosigkeit
1955 ging das Gebiet ins Eigentum der Republik über. Jetzt wäre die Rückstellung von Grund und Boden an die Ausgesiedelten möglich gewesen, es gab auch ca. 600 Rückstellungsanträge von Ausgesiedelten. Aber die Zweite Republik schuf 1957 mit den Staatsvertragsdurchführungsgesetzen eine Gesetzeslage, wonach die Ausgesiedelten keine Heimatvertriebenen waren und keinen Anspruch auf Entschädigung hatten. Damit wurde ihnen der Heimatverlust gesetzlich abgesprochen. ... Die Zwangsaussiedelung vor 50 Jahren hat Spuren hinterlassen: die frühe Erfahrung der Wehrlosigkeit, den Wunsch, vergessen zu wollen, aber nicht zu können, den inneren Widerstand gegen das Unrecht.
Helmut Waldert (Gestaltung), Die Ausgesiedelten, in: Menschenbilder, Hörfunk-Programm Ö1, 15. Jänner 1989, 17.15 - 18.00 Uhr
Aussiedlertreffen Schwall von Tränen und Erinnerungen
Über 300 Jahre war der Bauernhof im Besitz unserer Familie, und dann hat es auf einmal geheißen, `wir müssen weg´, erinnert sich eine Aussiedlerin bei ihrem Besuch in Allentsteig, wo sich anläßlich des Aussiedlertreffens mehr als 400 Personen zum Gottesdienst vor dem Schüttkasten eingefunden hatten.
Neue NÖN/ Zwettler Zeitung, 6. Juni 1991
Zum Aussiedlertreffen in Alt-Pölla am Sonntag, dem 30. Juni 1985, kamen zwischen 500 und 600 Aussiedler bzw. deren Nachkommen. Die heilige Messe mit den Aussiedlern feierten Pfarrer Pöllendorfer und Pfarrer Müllner am Sportplatz in Alt-Pölla. Die Messe und die Feier im Pfarrhofstadl wurden von der Freiwilligen Feuerwehr Alt-Pölla und ihren Mitarbeitern gewissenhaft vorbereitet und durchgeführt. Pfarrer Geistl. Rat Johann Pöllendorfer ist nicht nur Pfarrer in Alt-Pölla, sondern auch Titularpfarrer für die Pfarren Neu-Pölla und Franzen, denen durch die Aussiedelung schweres Leid zugefügt worden ist. Auch Döllersheim gehört zur Gemeinde Pölla. So kann Pfarrer Pöllendorfer mit Recht als ein Aussiedlerpfarrer gesehen werden. So war es auch er, der 1993 das Begräbnis von Karl Fröschl aus Neu-Pölla in Döllersheim hielt - das erste Begräbnis in Döllersheim seit 28. Oktober 1942 (Sekyra).
Um die Organisation der Aussiedlertreffen nahm sich vor allem Elfriede Schiller, aus Groß-Poppen stammend und heute in Allentsteig beheimatet, an, wofür sie auch organisatorische Unterstützung von der Stadtgemeinde Allentsteig erhielt. Im Gedenkjahr 50 Jahre Aussiedelung im Waldviertel 1988 fand das Treffen der Aussiedler von 10. bis 12. Juni in Allentsteig statt. Die Aussiedler beheimateten für einige Stunden ihre ehemalige Heimat und strömten dann in die Stadt, so wie es vor 50 Jahren gewesen sein muß, wo 7000 Menschen das Hinterland bildeten. Allentsteig verlor seine regionale Funktion hieß es in vielen Reden ... Insgesamt dürften etwa 2000 Menschen zu den Gedenktagen gekommen sein. Am Sonntag wurde in jedem Pfarrort eine Sonntagsmesse gefeiert, nach Oberndorf kamen etwa 1000 und nach Edelbach rund 500 Messebesucher, aber auch Großpoppen und Döllersheim hatten hunderte Menschen beim Gottesdienst.
NÖN Zwettler Zeitung, 16. Juni 1988
Abb. 570 Aussiedlermuseum 1991 in Allentsteig, Gottesdienst vor dem Aussiedlermuseum im Schüttkasten, Juni 1991
Entschädigung für die Aussiedler?
Zur Frage der Entschädigung nahm 1984 der Sprecher der Aussiedler, ÖkR August Eigner, Altbürgermeister der Gemeinde Wolfern, Stellung.
... mir ist die Zeit bis zur Vertreibung noch in bester Erinnerung. Wir mußten bis 1. August 1938 (...) unsere Häuser in Dietreichs geräumt haben. Mein Vater war bis zum Einmarsch Hitlers Bürgermeister in unserer Gemeinde Nieder-Plöttbach, zu der die Ortschaften Dietreichs, Söllitz, Nieder-Plöttbach und die Fürnkranzmühle gehörten ...
Unsere Schule war Oberndorf, unsere Pfarre war aber Döllersheim. Was mir heute immer noch als größtes Unrecht erscheint, ist die Tatsache, daß viele von Haus und Hof Vertriebene in der Fremde keine entsprechend großen Gehöfte ankaufen konnten von der Ablösesumme und so viele oft unterschiedlich ihr Vermögen zur Hälfte oder zu 2/3 verloren haben. Meinen Eltern, Franz und Walpurga Eigner, ist es so ergangen. Von der Ablösesumme kauften sie sich damals in Wolfern an (übrigens sind mehrere Familien hier angesiedelt), konnten aber damals keinen entsprechenden Hof finden. Daher blieb meinem Vater eine ziemliche Summe Reichsmark übrig, die nach Kriegsende und vorher durch Inflation wertlos wurde. Wir verloren ca. 2/3 unseres Vermögens ...
Persönlich kann ich mich heute noch nicht damit abfinden, daß es für uns sogenannte Aussiedler nach dem Krieg keine Entschädigung gab. Unsere Väter waren damals anscheinend zu müde, gegen dieses Unrecht anzukämpfen. Seit ich Sprecher der Aussiedler bin (seit dem Tod des früheren Bürgermeisters Graf von Haidershofen) habe ich bei allen sich bietenden Gelegenheiten auf dieses Unrecht hingewiesen ..."
Erst 1995 - anläßlich des Jubiläums 50 Jahre Zweite Republik - wurde nach jahrelangen Bemühungen insbesondere des Vereins der Freunde der Alten Heimat unter Obmann Ing. Heinrich Stangl den Aussiedlern vom Parlament eine eher symbolische Entschädigung aus dem Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus in der Höhe von 70.000,- Schilling zugesagt.
Gänzlich unvorhergesehen und unerwartet
... weil ich als unmittelbarer Anrainer des Tüpl dessen Geschichte von seiner Entstehung über die verschiedenen Entwicklungsstadien bis zur Gegenwart sehr gut kenne. Ich habe 1938 den von unmittelbarer Aussiedelung (Vertreibung) betroffenen Bauern persönlich bei der raschen Einbringung der restlichen Ernte geholfen. In die 2. Enteignungswelle des Tüpl fielen dann auch Waldgrundstücke aus meinem Besitz in der Größenordnung von rund 50 ha.
Nach fast vierjährigem befohlenem Kriegseinsatz im Eroberungsfeldzug der Deutschen Wehrmacht in Rußland und Entlassung als kleiner Gefreiter bei Kriegsende hatte ich wie viele andere gehofft, die von Hitlerdeutschland konfiszierten Grundflächen wieder laut vorliegendem Rückstellungsgesetz zurückzuerhalten.
Als nach Abzug der Russen aus Österreich diese Frage aktuell wurde und die Agenden des Tüpl von der Bundesregierung der NÖ Landesregierung zur Verwaltung übertragen wurden, vollzog sich, gänzlich unvorhergesehen und unerwartet, daß einerseits ein Großteil des Döllersheimer Tüpl weiterhin in einer für Österreich überdimensionalen Ausdehnung den Militärs erhalten bleiben würde, anderseits der südliche und vom Übungsplatz ausgegrenzte Teil aber nicht an seine ehemaligen Eigentümer zurückgegeben wurde. Hier machte sich in einer juristisch sehr anfechtbaren Nacht- und Nebelaktion die sogenannte Windhagsche Stipendienstiftung mit rund 2300 ha [recte: 3.120 ha] breit, welche vor dem Anschluß am Nordrand des Tüpl ein Waldgut gehabt hatte. In der neu angeeigneten Region bestand für die der NÖ Landesregierung unter- oder eingeordnete erwähnte Körperschaft bislang keine wie immer geartete Standortberechtigung. Derart blieben die Ausgesiedelten weiterhin heimatlos und die Organe der NÖ Landesregierung hatten kraft dieser Regelung neben manchen anderen Vorteilen die Verfügung über sehr erwünschte und ergiebige Jagdgründe."
Philipp Graf Thurn, Rastenberg, Leserbrief in: Das Waldviertel, 1/1989, S. 48
Völkerrechtler bricht Lanze für Allentsteig-Aussiedler
Eine Korrektur des Geschichtsbildes und daraus abzuleitende Ersatzansprüche waren die Schwerpunkte des von der Österreichischen Liga für Menschenrechte und der Europäischen Akademie in Allentsteig veranstalteten Tages der Menschenrechte. Konkret ging es beim Symposion `Minderheiten, Migration und Vertreibung´ um die im Jahr 1938 aus dem Truppenübungsplatz ausgesiedelten Waldviertler.
So befaßte sich auch das Schwerpunktreferat des Vorarlberger Völkerrechtlers Univ.-Prof. Dr. Theodor Veitter mit den Rechtsvorgängen um das `Döllersheimer Ländchen´ von 1938 bis zur Gegenwart. Völkerrechtliche Überlegungen seien nach seiner Meinung in das Thema miteinzubeziehen, weil die Aussiedlung im Zuge einer rechtswidrigen Okkupation Österreichs durch das Deutsche Reich erfolgte. Diese Gedanken Veitters wären die Basis, anstehende Forderungen von Aussiedlern geltend machen zu können, weil die Republik den von Hitler widerrechtlich errichteten Truppenübungsplatz als solchen übernommen hat. Auch ein ehemals versprochenes Entschädigungsgesetz wurde nicht erlassen. Vielmehr wurden zahlreiche Rückstellungsanträge abgelehnt. Einzig der Windhag´schen Stipendienstiftung und [teilweise] dem Stift Zwettl wurde der Status der politischen Verfolgung während des Naziregimes zuerkannt, Ablösen bezahlt und außerhalb des heutigen Tüpl gelegene Gebiete zurückgegeben.
Die österreichische Liga für Menschenrechte strebt an, daß das geschehene Unrecht auf dem Weg einer Interessensgemeinschaft oder politisch zumindest gemildert, wenn schon nicht ganz aus der Welt geschafft werden kann."
Helmuth Weissenböck, In: NÖ Kurier, 14. Dezember 1988
...was Nazis und Russen verschont
50 Jahre Truppenübungsplatz - eine Kontinuität des Militarismus ... Die (Windhagsche) Stiftung sowie das Bundesheer haben dann erst nach 1957 mehrere Orte endgültig zerstören lassen, die von Nazis und Russen verschont blieben."
Dr. Friedrich Polleroß, `Heldenplatz´ Döllersheim, Rede anläßlich der Premiere des Films Erinnerungen an ein verlorenes Land von Manfred Neuwirth am 22. Oktober 1988 im Filmtheater Allentsteig, in: Das Waldviertel 4/1988, S. 265 - 270
Panzerherz des Waldviertels
Herzamputiertes Waldviertel. - Hitler wollte es so; noch heute ist es so. 40 Orte ausradiert; 7.000 Menschen abgesiedelt. Dafür ein Truppenübungsplatz ... Militär als Herz-Ersatz? Es schlägt, nein, es donnert in Kanonenstößen. `Panzerherzen´ sind - medizinisch gesehen - irreparabel verhärtete Muskeln; versteinert; dem Tod geweiht. Wie also kann eine solche Herzattrappe Motor für eine Region sein? Antriebsimpulse für den gesamten Organismus liefern? Die Adern müssen ihr Blut von anderswo beziehen. Pumpe von außen. `Alte Heimat sucht Herz-Spender!´
Manfred Greisinger, Reizvolles Waldviertel, Allentsteig 1991, S. 100
So bleibt das Herzstück des Waldviertels weiterhin ein trauriges Mahnmal ... - Der riesige Truppenübungsplatz Allentsteig aus dem Dritten Reich harrt noch immer der Rückwidmung ...
Hans Schaumberger (Hg.), Waldviertel, Natur- und Kulturlandschaft, Edition Christian Brandstätter, Wien 1992, S. 197 und 175
Lokalaugenschein auf dem Übungsplatz
Ausschnitte aus dem Gespräch, das der Ö3-Reporter Helmut Waldert im Jänner l986 mit dem TÜPL-Kommandanten Oberst Helmut Lösch führte.
Oberst Lösch: Das sind Wohnhäuser der Ortschaft Wurmbach, die bis jetzt instand gehalten wurden. Das soll in Zukunft eine Ortskampfanlage werden, also Instandsetzung von alten Häusern für Übungen im Ortsgebiet. ... Die Kapelle wird erhalten. Sie dient uns als Lager für eine Stecksperre. In der Nähe ist eine Stecksperre vorbereitet. Die übende Truppe bedient sich dieser Stecksperre und übt hier damit.
Helmut Waldert: Werden die Häuser beim Üben des Häuserkampfes beschädigt?
Oberst Lösch: Es wird getrachtet, sie nicht zu beschädigen, weil sie für die nächste übende Truppe wieder da sein müssen.
Helmut Waldert: Entschuldigen sie, wie verträgt sich denn das: militärisch üben, mit Panzern herumfahren, und gleichzeitig bewirtschaften und ernten?
Oberst Lösch: Der Bauer hat einen Risikopachtvertrag. Er zahlt etwa die Hälfte des Pachtzinses, kriegt aber Schäden nicht ersetzt. Die Schäden sind sehr gering, denn kein vernünftiger Mensch wird z.B. in ein Getreidefeld hineinfahren, das kurz vor der Ernte steht.
Helmut Waldert: Ich möchte jetzt gerne eine Frage ganz naiv stellen: Das Eigenartige an diesem Truppenübungsplatz ist, daß zwei Gegensätze so zusammenprallen, nämlich Erhalten und Zerstören. Daß man hier dauernd Dinge vorfindet, wo man weiß, da hat Leben stattgefunden und genau das reizt immer so. Und jetzt weiß ich nicht, wie gehts z.B. einem militärischen Menschen, für den das sicherlich einmal ein reines Zweckgebiet ist, weil hier geübt werden kann. Aber ich nehme an, da schwingt ja auch noch was anderes mit, wenn Sie dauernd mit Resten von Lebenszeichen zu tun haben?
Oberst Lösch: Ja, diese Überlegungen müssen wir beiseite lassen. Unser Zweck ist, die Truppe zu schulen, sie üben zu lassen, sie für den Ernstfall vorzubereiten. Daher können wir solche Gedanken sinnvollerweise nicht pflegen. Ich bin sicher einer, der mit den alten Leuten mitdenkt, und wenn sie kommen, können sie meiner Unterstützung sicher sein.
Oberst Lösch: Selbstverständlich tritt das Bundesheer [bei der Allerseelenfeier in Döllersheim] in Erscheinung, zwar nicht mit einer Ehrenkompanie, aber mit starken Abordnungen von Unteroffizieren und Offizieren.
Helmut Waldert: Was drücken sie damit aus?
Oberst Lösch: Wie andere Personen hierher kommen, um ihre alte Heimat zu besuchen, so kommen wir hierher, um mit diesen Leuten mitzufeiern, eine Messe zu feiern, die Gräber zu besuchen.
Helmut Waldert: Ist damit der alte Konflikt im Grunde genommen bereinigt? Vielleicht ist er vergessen, aber ob er bereinigt ist?
Oberst Lösch: Ja, ein Konfikt wars ja nicht - wir fühlen uns ja in keiner Weise als Nachfolger der Deutschen Wehrmacht, die den Tüpl, l938 beginnend, eingerichtet hat, sondern wir sind eine völlig neue Institution, das Bundesheer. (...) Sehen Sie, das sind alles Entscheidungen, die nicht das Militär getroffen hat, sondern diese Entscheidungen treffen die Politiker, und 1957 hat man sich sicher den Kopf sehr lange darüber zerbrochen und hat berechnet und noch einmal berechnet, ob es sinnvoll ist, hier wieder die Aussiedler anzusiedeln. Man ist aber draufgekommen, daß es einfach nicht möglich ist.
Walter Gröbchen: Es gibt keine Spannungen, es gibt keine Probleme eigentlich?
Oberst Lösch: Nein, also sichtbare Spannungen auf keinen Fall, auf keinen Fall! Ich hab noch kein böses Wort gehört von diesen Aussiedlern.
Helmut Waldert: Das Stichwort von Herrn Oberst Lösch war: Man hat hier noch kein böses Wort von Aussiedlern gehört. Im Haus des etwa 30-jährigen Johann K., ein Kind von Aussiedlern, in einem Ort am Rande des Übungsplatzes: Das ist ja eine Riesenwunde bei uns im Waldviertel. Wir sind 20 km vom Eisernen Vorhang. Jetzt haben wir da mitten im Gebiet auch eine tote Grenze... Die ist aber noch fast ärger als ein Ausland... 3 km ostwärts ist die Welt zu Ende, kann man sagen. Da kannst sagen, da ist der 2. Weltkrieg... da hat er noch nicht richtig aufghört!
Im Haus des Hans Weixlberger bei Allentsteig, früher war er Obmann der Bezirksbauernkammer.
Hans Weixlberger: Neben der Panzerstraße sind die in dem Getreidefeld gefahren, haben sogar noch angezogen, also die Spur verändert, und wissen Sie, wenn ein Panzer anzieht, was das hinterläßt? Da haben wir natürlich versucht, beim Minister Rösch Gehör zu finden, daß man das einstellt. Es ist dann leichter geworden. Schließlich, der Minister kann auch nicht hinter jedem Panzer herrennen.
Im Haus des Altbürgermeisters Frank von Neu-Pölla: ...Der Truppenübungsplatz ist und bleibt ein Dorn im Auge.
Helmut Waldert an Oberst Lösch: Sind bestimmte Ziele von der Beschießung ausgenommen? Zum Beispiel sind ehemalige Kapellen oder ehemalige Friedhöfe ausgenommen?
Oberst Lösch: Ja, wir haben die Friedhöfe in Döllersheim - das ist sowieso außen herum - dann haben wir Oberndorf, das ist kein Zielgebiet, weil es nicht geeignet ist, und Edelbach ist am Rande draußen, wird auch nicht beschossen. . . Ja stimmt, Groß-Poppen! Das ist eine ganz ideale Schießbahn dort für Panzer und Artillerie, auch für uns heute für Artillerie... ganz ein wichtiges Zielgebiet.
Bemerkung des Ö3-Reporters: Fahrt nach Groß-Poppen, im Zentrum des Sperrgebietes... Groß-Poppen ist Zielgebiet der übenden Truppe. Überall Baumruinen. Auch der Friedhof von Groß-Poppen ist zerschossen.
...materielle und mentale Hindernisse
... Vorgänge, die mit der Auslöschung Österreichs und mit dem Beginn der NS-Herrschaft im März 1938 zusammenhängen.
... (der) Truppenübungsplatz Allentsteig-Döllersheim im Herzen des Waldviertels, der bald nach der Okkupation Österreichs durch eine genau überlegte, in ihrer Realisierung handstreichartige Verfügung der NS-Militärbehörden in Berlin entstand. Dieser Truppenübungsplatz ist in seiner Funktion bis heute ein militärischer Übungsplatz geblieben ... und er ist in seiner Entstehungsgeschichte bis heute von einer geheimnisvollen, fast magischen Aura umgeben.
... trotz der Arbeitsplätze sind die materiellen und mentalen Hindernisse, die der Übungsplatz verursacht, nicht zu übersehen.
Die Gemeinden um den Truppenübungsplatz erwarten sich aber auch regionsspezifische Industrieförderungen des Bundes und des Landes und nicht zuletzt kommunale Sonderförderungen.
HR Dr. Franz Oswald, NS-Relikt im Waldviertel. Aussiedler gedenken der Vertreibung vor 50 Jahren, in: Niederösterreich Perspektiven 2/1988, S. 27-29
Der Zweck historischer Gedenkfeiern kann es ja nur sein, Unrecht rechtzeitig zu erkennen und den Mut zum Widerstand zu wecken."
Heinz Strotzka, Salzburg, Leserbrief in: Das Waldviertel, 1/1989, S. 48
...eine andere Vision
Nach dem Ende des Kalten Krieges in Europa und der Abrüstung der Großmächte ist ... auf eine Verkleinerung des militärischen Sperrgebietes und auf eine Umwandlung des landschaftlich schönen und ökologisch interessanten Gebietes in einen Naturpark zu hoffen.
Kulturführer Waldviertel-Weinviertel-Südmähren, Deuticke, Wien 1993, S. 224
... herrlich reine und frische Luft ... Eines Tages wird man sich diesen Umstand zunutze machen können. Eine andere Vision betrifft die Schaffung eines Naturparks anstelle des militärischen Gebietes. Der wirtschaftlich-soziale Erfolg wäre garantiert, denn die Voraussetzungen sind geradezu ideal.
Peter Müller, Kulturspaziergänge in Niederösterreich, Verlag Jugend und Volk, Wien 1993, S. 9
Zynisch und unmoralisch
... herber als im Süden, karger auch, jedoch fruchtbar auf seine Weise und keinesfalls arm. Als solches wird das Waldviertel oft hingestellt, meist bei offiziellen Anlässen. Man kann dann auch hören, daß das Land nichts wert, und die Bewohner durchwegs verschuldet gewesen wären und daß die Vertriebenen mit ihrem Los ohnehin ein brilliantes Geschäft gemacht hätten. Solche Behauptungen sind nicht nur zynisch und unmoralisch, sondern schlichtweg falsch. Ein wenig schwingt da schon ein schlechtes Gewissen mit, auch Unwissen oder reaktionäres Denken. ... Geld hin, Geld her, 7000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben, Menschen, die ganz besonders mit ihrem Lebensbereich verwurzelt waren und einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn besaßen.
Peter Müller, Bundesdenkmalamt, Erinnerungen an die alte Heimat. 50 Jahre Truppenübungsplatz Döllersheim-Allentsteig, in: Niederösterreichische Kulturberichte, Monatszeitschrift für Kultur und Wissenschaft, Mai 1988, S. 1
... Es gibt in ganz Österreich kein so genau und so häufig untersuchtes Gebiet wie jenes der Region Allentsteig. Intensiv wurde die soziale und wirtschaftliche Lage vor 1938 untersucht. Die wesentlichen Erkenntnisse daraus zeigten, daß die äußerst schlechte wirtschaftliche Situation des Waldviertels und die hohe Verschuldung zahlreicher Bauern als eine der Ursachen für die Errichtung eines militärischen Übungsgeländes in diesem landwirtschaftlich unnutzen Raum diente. Der Landbedarf der deutschen Wehrmacht war während der Kriegszeit mit über 750.000ha prognostiziert. In diese Zahl ist die Dimension des Tüpl Döllersheim mit seinen rund 22.000ha einzuordnen. ... Im Rahmen des Symposions [Der Truppenübungsplatz Allentsteig: Region, Entstehung, Nutzung und Auswirkung, Symposion des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde, Allentsteig, 1. - 4. Juli 1991] wurden die Vermutungen der Entstehung des Übungsplatzes wegen Hitlers Vergangenheit und als operativer Aufmarschraum als nicht haltlos [sic!!] bestätigt.
Franz Ettmayer, Kein Hitler-Übungsplatz, Rubrik Garnison Allentsteig informiert, in: Neue NÖN/ Zwettler Zeitung 11. Juli 1991, S. 11
Nicht selten läßt die Kolumne [Garnison Allentsteig informiert] auch geistige Nähe zu diktatorischen Methoden erkennen. So etwa, wenn die Opfer des NS-Regimes als Vorbild hingestellt werden: Heute sind die alten Aussiedler von damals, die erlebte Geschichte an ihre Kinder weitergeben, Zeitzeugen, von denen unsere Generation lernen möge. (Neue NÖN, 22.11.1990, S. 10) In einer anderen Ausgabe wird die heutige Situation mehr oder weniger offen mit dem Platzbedarf der Deutschen Wehrmacht gerechtfertigt. ... Im Anschluß daran wird das Döllersheimer Ländchen vor 1938 wörtlich als landwirtschaftlich unnutzer Raum bezeichnet, was dem NS-Sprachgebrauch vom lebensunwerten Leben fatal nahe kommt. ... Einen Gipfelpunkt an Geschmacklosigkeit erreichen die Tüpl-Ergüsse mit der Deutung der Bergpredigt Jesu als Anstellen zum Watschenempfang (NÖN Zwettler Zeitung 4/1991, S. 10).
Reflex, Unabhängige Zeitschrift für die Region Allentsteig, Nr. 7, Sommer 1992, S. 5
Erinnerungen an Oberst Franz Oberleitner
Der Offizier und Theologe Franz Xaver Oberleitner war für mich ein Geschenk des Himmels. Geboren wurde er am 7. November 1931 in Untergschwendt, Pfarre Waizenkirchen. Er freute sich am 20. August 1984 herzlich, daß es einen Priester gibt, der für die noch vorhandene Sakrallandschaft am Übungsplatz Interesse hat. Das sei leider nicht so selbstverständlich.
Er nahm sich oft Zeit und ging mit mir. Eines seiner ersten Ziele war Edelbach. Er sagte mir bei allen Führungen die volle Wahrheit, die ich nicht unbedingt veröffentlichen solle, solange er noch nicht in Pension ist.
In Edelbach lautet die offizielle Formel: Hier wird nicht geschossen. Die ehemalige Pfarrkirche ist von selbst eingestürzt. Edelbach war von 1939 bis 1952 von Zweitsiedlern bewohnt. Kirche und Friedhof durften sie nicht benutzen. Ab 1952 schossen die Russen tatsächlich auf die Kirche. Sie wäre aber im Jahre 1957 noch zu retten gewesen.
Für die Sprengübungen in der Kirche in Edelbach will heute niemand den Befehl gegeben haben. Von Oberst Oberleitner weiß ich, daß Soldaten zuerst die Südmauer der Kirche heraussprengten, dann wurde im Innenraum gesprengt. Auch das Längstonnengewölbe des Langhauses sowie das wertvolle spätgotische Sterngewölbe über dem Altarraum wurden herabgesprengt. In der Folge brach der Dachstuhl des Langhauses ein. Der Turm stand nur mehr auf der Apsismauer im Osten und im Westen gar nur mehr auf einem Balken, bis er Ende Oktober 1979 in das Langhaus stürzte, wo heute noch seine Überreste, darunter auch das Turmdach, liegen.
Auch den verwilderten Friedhof in Edelbach empfand Oberst Oberleitner als Schande für das Truppenübungsplatzkommando. Deshalb ließ er im Oktober 1984 die Umgebung des Friedhofskreuzes vom Wildwuchs befreien und das Kreuz selber renovieren. 1988 erkrankte Oberleitner, weshalb ihm die Energie fehlte, den ganzen Friedhof so zu sanieren wie den Teil um das Friedhofskreuz.
Dem Friedhof in Edelbach gab er große Chancen zu überleben. Wir wußten damals beide nicht, daß bis 1869 der Friedhof die Kirche umgeben hatte. Auch daß dort über 8.000 Tote beerdigt sind, von denen fast 5.000 namentlich in den Pfarrmatriken von 1676-1869 verzeichnet sind, war uns in den Jahren 1984-1988 unbekannt. Daß dieser Friedhof - anders als in Groß-Poppen - nicht beschossen wird, habe er, so erfuhr ich, dem Munitionslager zu verdanken. Er könne höchstens aufgeforstet werden - das trüge aber auch zur Erhaltung des Friedhofs bei.
An die Konservierung der Kirchenruine in Edelbach konnte Oberleitner nicht recht glauben. Hätte man diese Kirche gerettet, hätte man sich im Jahre 1967 den Bau der Soldatenkirche ersparen können. Nur liegen halt Edelbach und das Lager Kaufholz mit 2 km Distanz zu weit auseinander... An dieser Kirche braucht nicht mehr viel gesprengt zu werden. Der Altarraum wird von selbst zerfallen, die oft rund um die Kirchenruine fahrenden Panzer werden ihren Beitrag leisten. Wenn wir damals gewußt hätten, daß der alte Friedhof rund um die Kirche liegt, wo zumindest nach 1984 die Panzer fuhren - hätte er dies verhindern können?
Auf dem Friedhof in Groß-Poppen wurde Franz Oberleitner sehr nachdenklich. Er sagte: Unsere offizielle Version ist: `Seit August 1938 gibt es keinen Friedhof in Groß-Poppen mehr.´ Ich sage meistens: Hier befindet sich der Friedhof von Groß-Poppen, der seit August 1938 nicht mehr belegt werden kann. Als studierter Theologe [Oberleitner hatte ein abgeschlossenes Theologiestudium] denke ich, die Gräber sind ja vorhanden. Sie bergen einige Tausend verstorbene Angehörige der Aussiedler. Man kann sagen: Der ehemalige Friedhof, die ehemaligen Gräber - aber nicht: `die ehemaligen Toten´!
Die Beschießung des Friedhofs in Groß-Poppen kann heute - wie es den Anschein hat - leider niemand verhindern. Franz Oberleitner und ich waren öfters auf dem Friedhof. Wir haben fast jeden Quadratmeter erforscht. Wir fanden das Schmiedeeisentor am Eingang - es liegt bis auf die Spitzen unter dem Schutt der zerschossenen Nordmauer des Friedhofes. Wir entdeckten mehrere Grabeinfassungen, fast alle sind zerschossen. Auch mehrere Steinsockel, die bis etwa 1947 Gußeisenkreuze getragen hatten, fanden wir. Manche Gräber waren nur deshalb auffindbar, weil auf ihnen die Grabblumen von einst wild weiterblühen. Daß ich damals sein Angebot, das Kirchenschiff in Groß-Poppen vom Schießschutt zu befreien, nicht angenommen habe, tut mir heute noch leid.
Heute zu behaupten, Oberst Oberleitner hätte bei unseren Forschungsarbeiten auf dem Friedhof in Groß-Poppen nicht die nötige Vorsicht walten lassen, ist blanker Unsinn. Er teilte mir immer die Termine mit, an denen der Friedhof mehrere Tage hindurch nicht unter Beschuß lag. Außerdem ließ er den Friedhof vor jeder unserer Begehungen genau nach Blindgängern oder sonstigen gefährlichen Relikten durchsuchen. Er war ja 1984 (und ich glaube auch noch 1985) Schießplatzkommandant und für mich und alle Leser dieses Buches ein Geschenk vom Himmel.
Was er über Oberndorf voraussagte, wollte ich noch zu Allerheiligen 1995 nicht glauben, da es mir zu pessimistisch war: Er gab mir zu verstehen, daß es keinen Bischof geben werde, der sich für die Erhaltung der Brünnlkapelle, des Friedhofes und für eine etwaige Konservierung der Kirchenruine einsetzen werde.
Das glaubte ich ihm einfach nicht, bis ich es mehr als 11 Jahre später vom Truppenübungsplatzkommando schriftlich erhielt. Es heißt dort u.a.: ... Zur Abklärung der Sachverhalte hat am 04 10 95 in concreto ein Gespräch zwischen dem hochwürdigen Herrn Diözesanbischof Dr. Krenn und dem Militärkommandanten von NÖ, Herrn Divr Pirker, stattgefunden. Im Verlaufe dieses Gespräches wurde zwischen Bischof und Militärkommandant übereinstimmend festgestellt, daß kein Interesse an einer Wiedererrichtung ehemaliger sakraler Bauten im Bereich des Tüpl Allentsteig besteht.
Franz Oberleitner sagte mir, die Kirchenruine in Oberndorf sei ein beliebtes Ziel gewesen, als von Wildings aus die französischen Panzergranaten AMX ausprobiert wurden. Major G. hätte mit diesen Waffen den Kirchturm von Oberndorf beschossen und die westliche Giebelmauer zusammengeschossen. Josef Poinstingl aus Hörmanns Nr. 4 bestätigte diese Worte von Oberst Oberleitner. Der Offizier G. hätte ihm sogar gesagt, daß die AMX sehr treffsicher seien. Er habe mit ihnen sogar den Kirchturm in Oberndorf genau getroffen.
Oberleitner erzählte mir auch, die Bundesgebäudeverwaltung habe nicht nur den Brünnlaltar in den Dürnhof ausgesiedelt, sondern auch Grabeinfassungen von Gräbern auf dem Oberndorfer Friedhof weggenommen und für Gräber auf dem Friedhof in Döllersheim verwendet. Auch für diese Mitteilungen gibt es Zeugen. Josef Poinstingl und ich haben am 18. August 1983 zusehen müssen, wie Arbeiter der BGV den Altar in der Brünnlkapelle abmontierten. Erst im Oktober 1995 fiel mir auf, daß die Gräber auf der Südseite des Friedhofs keine Grabeinfassungen haben - mit Ausnahme der Grabstätte der Familie Hochleitner aus Ober-Plöttbach Nr. 7. Das Ehepaar Hochleitner, das jetzt in Thaya wohnt, war anwesend und sagte zu mir: Das können wir Ihnen leicht erklären. Unser Sohn ist bei der Bundesgebäudeverwaltung. Er mußte die Entfernung der Grabeinfassungen in Oberndorf leiten - die von unserem Grab ließ er jedoch nicht wegnehmen.
Oberst Oberleitner hegte schon damals Befürchtungen, Kirchenruine und Friedhof in Oberndorf würden in einigen Jahrzehnten genauso aussehen wie der Sakralbereich von Groß-Poppen heute. Oberndorf sei ein Paradies für Sprengübungen. Leider dürfte er auch damit recht haben, denn im Jahre 1991 wurde das spätgotische Sänger- und Orgelchor herausgesprengt, wie Unteroffiziere eindeutig feststellen konnten. Es gibt - man möchte es nicht glauben - in Österreich heute hochranginge Militärpersonen, die allen Ernstes und offen zugeben, es wäre ihnen am liebsten, wenn von Oberndorf heute auch nur noch so wenig vorhanden wäre wie von dem völlig zerschossenen Groß-Poppen!
Bei der Brünnlkapelle in Oberndorf waren wir einer Meinung, daß sie eigentlich ein etwas größeres Marterl sei. Oberleitner meinte, daß es nicht zweckmäßig sei, das Marterl Brünnlkapelle wiederzuerrichten. Er denke an die Konservierung des Mauerwerkes und an ein ziemlich flaches Dach. Tür und Fenster wolle er keine einsetzen, dafür wäre sein Wunsch, den Brünnlaltar vom Dürnhof wieder in die Brünnlkapelle heimzubringen. Davor würde noch einige Zeit vergehen, denn zunächst müsse die Restaurierung der Ortskapelle in Neunzen abgeschlossen sein.
Franz Oberleitner zeigte mir viele renovierte Marterl auf dem Schießplatz. Die meisten hatte er renovieren lassen. Wenn ich ihm dafür danken wollte, zählte er meistens die Namen derer auf, die noch mehr getan hätten als er. Sehr oft verwies er darauf, daß er ja nur der Stellvertreter des Tüpl-Kommandanten, Oberst Helmut Lösch, sei und diesem der eigentliche Dank gebühre.
Auch heute wären - abgesehen von der Brünnlkapelle - noch einige Marterl äußerst renovierungsbedürftig. Wer setzt das Werk von Oberst Oberleitner fort? Auf Renovierung warten die zum Teil abgetragenen Marterl auf der Straße von Döllersheim nach Heinreichs - beide sind gemauert. Das Marterl nördlich von Strones wäre seit September 1995 renoviert, wenn man mich selber dort hätte arbeiten lassen.
Oberst Oberleitner wußte - Gott sei Dank - nicht, daß einmal ein NÖ Landeskommandant und der zuständige Diözesanbischof übereinstimmend feststellen werden, daß kein Interesse an einer Wiedererrichtung sakraler Bauten im Bereich des Tüpl Allentsteig besteht.
Oberst Oberleitner ließ als letzte seiner Großtaten die total zerschossene Ortskapelle von Neunzen wieder errichten. Der jetzige Leiter der Bundesbaudirektion, Dir. Ing. Kratochvill, gab sich größte Mühe bei der Rekonstruktion der Holzverkleidung im Inneren der Kapelle. Der Turm erhielt ein neues Dach aus Kupferblech, das Kapellendach wurde völlig erneuert.
Die endgültige Fertigstellung der renovierten Ortskapelle in Neunzen hat Oberst Franz Oberleitner leider nicht mehr erlebt. Er starb nach langer, schwerer Krankheit am 7. Juni 1990 in Allentsteig, Steinlbreite 2, und wurde am 13. Juni auf dem Friedhof in Allentsteig bestattet. GR Josef Nowak, Stadtpfarrer von Allentsteig, hat Herrn Oberleitner in seiner Krankheit oft besucht, ihm die Kommunion gebracht und war auch die letzten Stunden bis zu seinem Sterben bei ihm. Auf Wunsch der Familie hielt er auch das Begräbnis.
Ich, Pfarrer Müllner, hoffe sehr, daß sich eine Befürchtung von Franz Oberleitner nicht erfüllen wird. Er sagte mir bei unseren Arbeiten am Friedhof in Groß-Poppen: Ich fürchte, daß es der Kirchenruine und dem Friedhof in Oberndorf in einigen Jahrzehnten genauso ergehen wird, wie es den Sakralbauten hier in Groß-Poppen bereits ergangen ist.
Der Priester und die Soldaten
Diskussion zwischen mir, Pfarrer Johannes Müllner, und dem Kommando des Übungsplatzes
Um unseren Leserinnen und Lesern objektive und wahre Information zu geben, sind sowohl die Ansichten und Darstellungen zu einzelnen Themen von Rudolf Wagnsonner und mir, Johannes Müllner, im folgenden wiedergegeben. Er vertrat das Übungsplatz-Kommando Allentsteig und sicher auch seine vorgesetzten Kommanden, ich darf im Namen der Diözese St. Pölten sprechen, zu der ja das Territorium des Übungsplatzes Allentsteig gehört. Daß wir nicht überall gleicher Meinung sein können, liegt in der Natur der Dinge.
Rudolf Wagnsonner und ich kennen einander seit September 1953 (!). Er war damals in der 6. Klasse Gymnasium in Horn, ich begann mit der 1. Klasse Aufbaugymnasium. Er ist Jahrgang 1937, ich bin Jahrgang 1934. Als im Jahre 1955 das österreichische Bundesheer in Horn feierlich begrüßt wurde und in die Kaserne einzog, waren wir beide als Zuseher anwesend. Ich hatte Tränen in den Augen, denn bis dahin hatte ich in meinem Leben deutsche und ungarische Uniformen und vor allem fast alle Gattungen der Sowjetbesatzer gesehen. Jetzt endlich durften und dürfen wir österreichische Soldaten in ihren Uniformen sehen. Ich bin also froh, daß es unser österreichisches Bundesheer gibt.
An meinem 60. Geburtstag, am 23. November 1994, durfte ich dem Kommando ein Exemplar meiner bisherigen Werke Die entweihte Heimat mit Widmung überreichen. Zugleich bat ich auch um eine Stellungnahme, die ich am 7. April 1995 schriftlich erhielt. Dazu gab ich dem Kommando am 10. April 1995 eine schriftliche Antwort. Am Montag, dem 15. Mai 1995, besuchten mich Wagnsonner und sein Adjutant Ettmayer in Roggendorf, es kam zu einem mehrstündigen Gespräch. Ergänzende Überlegungen zu unserem Gespräch erhielt ich am 23. Juni 1995 schriftlich. Auszüge aus den beiden Briefen sind im folgenden wiedergegeben.
Vertreibung oder Aussiedelung?
In meinen Bänden von 1984 und 1985 wurden die Aussiedler wiederholt als Vertriebene bezeichnet, die Aussiedelung auch mit dem Wort Vertreibung umschrieben.
Dazu erhielt ich folgende Belehrung vom Übungsplatz-Kommando: Gerade die Bezeichnung `Vertreibung´ erweckt Unrecht. - Die Unterscheidung von Vertreibung (Sudetendeutsche) und Aussiedlung (Döllersheim) ist eine wesentliche. Der Stellenwert der Vertreibung ist ungleich schwerwiegender als der der Aussiedlung. Bei der Aussiedlung aus dem Gebiet um Döllersheim durch die Deutsche Wehrmacht wurde teilweise in Randbereichen auf Wünsche und auch Proteste eingegangen (z.B. Franzen). Im Zusammenhang mit der Aussiedlung gab es auch keine Bedrohungen an Leib und Leben von Aussiedlern. Aussiedlungen und Umsiedlungen hat und wird es immer geben. Derartige Vorgänge zum Allgemeinwohl sind auch in der gültigen Rechtsordnung enthalten. Als Beispiel aus heutiger Zeit seien die Umsiedlungsmaßnahmen in Norddeutschland zur Erweiterung des Tagabbaues für Braunkohle (Garzweiler) angeführt. Der Unterschied zwischen Aus-/Absiedlung und Vertreibung hat seine moralischen und rechtliche Aspekte wohl darin, daß bei der Aus-/Absiedlung eine volle Entschädigung erfolgt und der/die Betroffene(n) wieder voll in die Gesellschaft integriert werden, während die Vertreibung ein krimineller Akt gegen ein Volk oder eine Volksgruppe ist, in deren Verlauf weder Leib und Leben noch Hab und Gut des Einzelindividuums geschont werden.
Dazu möchte ich folgendes zu bedenken geben: Beide Begriffe - Aussiedlung und Vertreibung - verteilen sich auf die Betroffenen. Zwangsaussiedlung wäre wohl der geeignetste Ausdruck. Ich wurde gefragt, warum das Übungsplatz-Kommando so sensibel auf das Wort Vertreibung reagiere. Das Bundesheer habe doch niemanden vertrieben. Oder gibt es doch ein schlechtes Gewissen?
Nach einem Lichtbildervortrag, den ich vor mehreren Jahren in der Hauptschule Irnfritz hielt, wurde ich gefragt, warum ich die Zweitsiedler, die in den Ortschaften Wurmbach, Steinbach und Pötzles wohnten, nicht erwähnt habe. Ich sagte, darüber wisse ich zu wenig. Sie erzählten mir, sie seien aus diesen Orten ab 1961 gewaltsam ausgesiedelt worden. Margot Schindler hat sich in ihrem Buch Wegmüssen mit diesem Problem beschäftigt.
Das genannte Beispiel Franzen - der Ort wurde erst am 1. November 1961 (!) vom Tüpl-Gebiet getrennt - zeigt eindeutig, daß hier keine friedliche Entsiedlung stattgefunden hat. Den NS-Behörden ist zwar die Zwangsentsiedelung der Pfarrorte Eichhorns, Schwarzenreith und Thaures gelungen, aber aus dem Pfarrort Franzen selbst, sowie aus den weiteren eingepfarrten Orten Wetzlas, Nondorf und Reichhalms konnten sie nicht mehr alle Menschen vertreiben. Bis auf 7 Familien wurde Franzen entsiedelt. Und die Bedrohung an Leib und Leben gab es in Franzen sehr wohl - etwa die absichtliche Beschießung bewohnter Häuser in der NS-Zeit.
Die Bewohner von Franzen mußten einen jahrelangen Kampf führen. Ihre Wünsche und Proteste wurden nicht nur von den NS-Behörden und den Sowjetbesatzern, sondern - leider auch - von der Republik Österreich viel zu wenig gehört. Den Menschen, die sich für den Erhalt ihrer Heimat eingesetzt haben, gebührt - auch über ihren Tod hinaus -, daß sie von der zuständigen politischen Gemeinde die Ehrenbürgerschaft erhalten. Sie haben schließlich die NS-Behörden besiegt, haben sich vor der Besatzungsmacht behauptet und haben endlich auch die Mächtigen der Republik Österreich zur Einsicht gebracht.
Volle Entschädigung, wieder in die Gesellschaft integriert. - Das gilt, Gott sei Dank, für sehr viele Aussiedler, aber leider nicht für alle. Zum Allgemeinwohl: Es wird wohl kein Mensch zu behaupten wagen, die von der NS-Diktatur betriebene Zwangsaussiedlung im Waldviertel hätte dem Allgemeinwohl gedient.
Säkularisierung oder erzwungene Auflösung?
Zu der Frage, ob die Pfarren im Aussiedlungsgebiet säkularisiert oder unter Zwang aufgelöst wurden, lautet die Sichtweise des Übungsplatz-Kommandos: Die ehemaligen Pfarren (Kirchen mit Friedhof) Edelbach, Groß-Poppen, Oberndorf und Döllersheim wurden amtlich mit bischöflichem Schreiben säkularisiert. Eine Säkularisierung hat es bereits auch in früheren Jahrhunderten gegeben (Josefinismus). Auch im 20. Jahrhundert kam es weltweit und auch heute kommt es noch zur Säkularisierung bzw. zur Zerstörung kirchlicher Einrichtungen.
Dazu ist eindeutig festzustellen: Das angebliche bischöfliche Schreiben ist im Diözesanarchiv nicht vorhanden. Säkularisierung bedeutet Einziehung kirchlichen Besitzes durch den Staat. Nicht die Kirche hat säkularisiert, sondern der damalige NS-Staat. Die Diözese St. Pölten legt großen Wert auf diese Tatsache. Da die Pfarren durch die Zwangsaussiedlung ihrer Pfarrangehörigen beraubt wurden, mußte die Diözese auch die Pfarrer abberufen und die Pfarren für aufgelöst erklären. Als die NS-Behörden die Gläubigen der Pfarre Oberndorf zur Aussiedlung zwangen, stellten sie fest, daß die Aufhebung der Pfarren Edelbach und Groß-Poppen im St. Pöltner Diözesanblatt noch nicht veröffentlicht worden war und diese damit nach kanonischem Recht noch gar nicht rechtskräftig aufgelöst waren. Deshalb sah sich die bischöfliche Behörde gezwungen, im St. Pöltner Diözesanblatt Nr. 7 vom 8. Mai 1940 (!) untenstehenden Text zu veröffentlichen. Anders verhält es sich mit der Pfarrkirche Döllersheim: diese wurde nach der erzwungenen Auflösung der Pfarre Döllersheim nicht nach kanonischem Recht aufgelöst, sondern der hochwürdige Herr Pfarrer Pfarrer Franz Ledl von Rastenfeld wurde zum Rector ecclesiae der aufgelassenen Pfarrkirche von Döllersheim ernannt.
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