Das Nordlicht - Das große Zeichen

Am 25. Jänner 1938 brachte der Abend das großartige Schauspiel des Polarlichts, das um 20 Uhr aufleuchtete und vier Stunden ununterbrochen andauerte. Der heitere, nördliche Horizont  strahlte in weißgrünem Licht. Immer wieder röteten sich in rascher Folge Stellen des Firmaments, bisweilen ausgedehnte Felder, bis zu tiefem Glutrot. Das weißgrüne Licht legte auf dem Horizont senkrecht aufstehende,  bis in den Zenit ragende parallele Streifen in die gefärbten Himmelsflächen. Die Naturerscheinung machte tiefen Eindruck. Nach Zeitungsberichten wurde das Nordlicht dieses Abends auch tief im Süden - in Oberitalien,  in Nordspanien und auf den Inseln des Mittelmeeres - beobachtet. Ich war damals erst wenig mehr als 3 Jahre alt, kann mich aber noch gut erinnern, wie mir mein Vater Johann Müllner in Unter-Windhag bei Zwettl diese  Himmelserscheinung zeigte. Er nahm mich sogar auf seinen Arm, damit ich mehr sehen konnte.

Von diesem Nordlicht als Unheilszeichen war in meinem Elternhaus noch oft die Rede - etwa als meine Mutter Karoline Müllner, geb. Thaler, bald nach dem 13. März 1938 eine  Hakenkreuzfahne nähen mußte; als am 1. September 1939 der 2. Weltkrieg ausbrach, und bald die ersten Männer und Burschen einrücken mußten; oder als ich ab 29. Juni 1942 fast jeden Monat für einen im Krieg gefallenen  jungen Burschen oder für einen Familienvater mit dem Notgeläute der Kapelle in Unter-Windhag läuten mußte ...

Aber nicht nur für mein Elternhaus und für mein Heimatdorf, sondern für viele Bewohner des mittleren Waldviertels, des späteren Truppenübungsplatzes, ja überhaupt für viele Menschen  bedeutete diese seltsame Naturerscheinung ein böses Vorzeichen für die Zukunft. Wie recht sie behalten sollten, ahnte keiner.

 

Am Anfang

Jede Zwangsaussiedlung ist eine menschliche Tragödie. Vor, während und nach dem 2. Weltkrieg mußten unzählbar  viele Menschen ihre Heimat verlassen. Auch in der Gegenwart sind  Vertreibungen und Flüchtlingstragödien in vielen Teilen der Welt bittere Realität.

Besonders nahe geht uns Waldviertlern die Entvölkerung des Landstrichs zwischen Zwettl, Waidhofen/Thaya und Horn - die Vertreibung von rund 7.000 Landsleuten aus 42 Ortschaften, 6  Streusiedlungen, 8 Einzelgehöften, 10 Mühlen und aus 51 Häusern von weiteren 9 Ortschaften im Herzen des Waldviertels in der Zeit vom 5. August 1938 bis lange nach dem Jahre 1942. Die Pfarren Edelbach und  Groß-Poppen mußten wegen der Zwangsaussiedlung ihrer Pfarrkinder zur Errichtung eines Schießplatzes 1938 von kirchlicher Seite aufgelöst werden, die Pfarre Oberndorf im Jahre 1940 und die Pfarre Döllersheim 1942.  Die benachbarten Pfarren Franzen, Neu-Pölla, Allentsteig, Groß-Globnitz und Stift Zwettl wurden zwar nicht ebenso ausgelöscht, verloren jedoch Hunderte ihrer Bewohner.

Durch persönliche Bekanntschaft mit vielen Aussiedlern begann ich, mich näher mit der Geschichte des Entsiedlungsgebietes und insbesondere mit dem Schicksal der Sakralbauten auf dem  Schießplatz zu beschäftigen.

Im Jahre 1984 durfte ich, ermutigt von GR Pfarrer Josef Nowak von Allentsteig, die Untersuchungsergebnisse in dem Bildband "Die entweihte Heimat" veröffentlichen, gedacht  als Ergänzung zum Buch "Die Alte Heimat". Die Auflage war sehr klein, Blatt für Blatt wurde mit dem eigenen Fotokopierer hergestellt. 150 Blätter pro Exemplar mit mehr als 350 Bildern waren zu  fotokopieren. Viele Aussiedler stellten mir Bilder zur Verfügung, auch die nötige Literatur konnte ich in Archiven einsehen. Zahlreiche Besuche bei Aussiedlern bauten Freundschaft und Vertrauen auf.

Um jedoch die Sakrallandschaft des entsiedelten Gebietes genauer zu erforschen, waren viele Besuche an Ort und Stelle notwendig. Vom Übungsplatz-Kommando standen mir Helmut Lösch,  Oberst, und sein Stellvertreter, der leider schon verstorbene Franz Oberleitner, Oberst, mit Rat und Tat zur Verfügung. Sie erwirkten mir die Erlaubnis, die Sakrallandschaft im Sperrgebiet zu fotografieren. Zu Dank  verpflichtet bin ich auch der Windhagschen Stipendienstiftung, deren Direktor Dipl.-Ing. Edmund Teufl mir viel Zeit und Rat widmete, sowie der Bundesbaudirektion / Gebäudeverwaltung Allentsteig unter RegR Ing.  Stangl und Ing. Kratochvill.

Seit 1984 hat sich viel verändert. 1988 wurde des Beginns der Vertreibung würdig gedacht. In allen Tüpl-Pfarren gab es Gedenkgottesdienste, zwei wertvolle Ausstellungen waren in  Gobelsburg und in Neu-Pölla zu sehen. Zahlreiche Publikationen - Bücher, Studien, Symposien, Problemkataloge, Zeitschriftenartikel, TV-Beiträge u.a. - haben sich seither mit der Problematik beschäftigt - besonders  erwähnt seien hier Dr. Margot Schindlers Buch "Wegmüssen" und das von Dr. Friedrich Polleroß herausgegebene Werk "1938. Davor-Danach".

Auf Anregung des Vereins Information Waldviertel habe ich mich - 55 Jahre nach Beginn der Zwangsaussiedlung im Jahre 1938 - zu einer Neuauflage des Bildbandes in aktualisierter und  stark erweiterter Form entschlossen. Allen, die mir Unterlagen und Bildmaterial zur Verfügung gestellt bzw. zum Werden dieser Dokumentation in der vorliegenden Form beigetragen haben, danke ich herzlich.

Was mir als Priester große Freude bereitet, sind einige renovierte Marterl im Entsiedlungsgebiet. Was mir aber sehr weh tut, sind die nichtkonservierten Kirchen und Kapellen sowie die  drei verwahrlosten Friedhöfe. In Groß-Poppen werden noch dazu die 154 Gräber der verstorbenen Angehörigen der Aussiedler bis zum heutigen Tag beschossen - unvorstellbar für einen Soldatenfriedhof. Wir kennen die  Namen der 4.308 Menschen, die dort allein von 1662 bis 1938 bestattet wurden. Für jedes Einlenken sei den Verantwortlichen in unserem Vaterland Österreich im Namen aller Aussiedler und deren toten Angehörigen schon  heute ein herzliches DANKE gesagt.

Roggendorf, im Herbst 1997                               Pfarrer Johannes Müllner

 

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