Walther von der Vogelweide
Daß der mittelalterliche Minnesänger Kol von Niunzen aus dem Aussiedlungsgebiet im Waldviertel - aus Neunzen, Pfarre Edelbach - stammt, gilt als weithin gesichert. In den letzen Jahren haben literaturwissenschaftliche und heimatkundliche Forschungen überzeugende Argumente dafür geliefert, daß auch der Minnesänger Walther von der Vogelweide, der als größter deutschsprachiger Dichter vor Goethe gilt, aus dem Waldviertel stammt - vielleicht sogar aus dem Bereich des späteren Aussiedelungs- und Truppenübungsgebietes. Fast alle süddeutschen Landschaften - Schweiz, Franken, Westfalen, Südtirol - aber auch Böhmen und Ungarn erhoben den Anspruch, die Heimat Walthers zu sein.
Abb. 261 Skizze der Ortschaft Walthers und der Vogelweide
Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wurden wissenschaftliche Stimmen laut, daß Walthers Heimat im heutigen Nieder- oder Oberösterreich zu suchen sei, sagt Walther doch selbst, wie auch auf dem Gedenkstein in Walthers zitiert: "in Österreich lernte ich Singen und Sagen" (=Dichten und Sprechen).
Abb. 262 Österreich zur Zeit Walthers von der Vogelweide
Um das Jahr 1170 in unruhige Zeiten hineingeboren, kam Walther um 1190 an den Hof der Babenberger in Wien - seine Heimat wird daher zum Machtbereich der Babenbergerherzöge gehört haben. Er genoß deren Förderung, insbesondere Friedrichs I. und wurde zum Minnesänger ausgebildet. Die einzige sichere Nachricht aus seinem Leben beinhaltet eine Urkunde von 1203: sie überliefert, daß der Passauer Bischof Wolfger von Erla einem gewissen "Walthero cantori de Vogelweide" fünf Schillinge für einen Pelzrock gab.
Nach dem Tod Friedrichs I. reiste Walther in den Deutschen Landen herum und nahm in seiner Spruchdichtung zu den Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst Stellung. 1220 erhielt Walther vom jungen Stauferkönig Friedrich II. ein kleines Rittergut in der Nähe von Würzburg. Um 1230 dürfte Walther gestorben sein, sein Grab im Neumünster-Stift zu Würzburg war noch im 18. Jahrhundert erhalten.
Schon 1977 machte Prof. Dr. Bernd Thum von der Universität Karlsruhe das Waldviertel als wahrscheinliche Heimat des Dichters glaubhaft. Er ging dabei von Walthers sogenannter "Alterselegie" (1227) mit der Verszeile "vermessen und parzelliert ist das freie Feld, gerodet ist der Wald" aus. Sein Argument: nirgendwo sonst sei um diese Zeit noch Wald gerodet worden. In Walthers Heimat müssen demnach um 1180/90 noch ausgedehnte Wälder vorhanden gewesen sein, deren Rodung während seiner Abwesenheit erfolgte. Daß der vielgereiste Dichter seine Heimat erst nach so langer Zeit wiedersah, spricht dafür, daß sie abseits der damals wichtigen Straße lag. Dies würde, so Prof. Thum, auf den Vogelweidehof bei Anschau/ Traunstein zutreffen.
Abb. 263 Walther von der Vogelweide: die berühmte Darstellung in der Manessischen Handschrift.
1987 untersuchte Walter Klomfar im Archiv von Stift Zwettl eine Zeichnung aus dem Jahre 1663, die anläßlich von Grundstreitigkeiten zwischen dem Stift und der Herrschaft Allentsteig von Mönchen angefertigt wurde. Die Karten-skizze zeigt "eines jener typischen Längsangerdörfer dieses Gebietes, deren Entstehung (...) im mittleren Drittel bis gegen Ende des 12. Jahrhunderts anzunehmen ist." Der Name des Dorfes: Walthers. Darüber hinaus zeigt diese Kartenzeichnung eine "Vogelweide", die sich im Osten unmittelbar an die Ortschaft anschließt.
Walthers, nahe Bernschlag gelegen, wurde 1275 erstmals urkundlich erwähnt, als Friedrich von Liechtenstein Grundstücke an das Kloster Imbach verkaufte. Bereits eineinhalb Jahrhunderte später dürfte sich das Dorf im Niedergang befunden haben. Die Vogelweide, ein ausgedehntes Gebiet aus Wald und Wiesenflecken, dürfte sich bis an den erst später entstandenen Weiler Perweis erstreckt haben.
Der Ortsname Walthers leitet sich - wie vielerorts im Waldviertel - von einem Personennamen ab - die Gründung des Ortes wird einem Walther zugeschrieben. Tatsächlich scheint 1175 in einer Urkunde des Marquart de Tige, des damaligen Besitzers der Herrschaft Allentsteig, unter 23 Zeugen auch ein Walther de Tige auf - offensichtlich einer der Gefolgsleute des Burgherrn, die zu jener Zeit in diesem Gebiet mit ihren Untergebenen den Wald rodeten und Dörfer gründeten, die dann ihren Namen trugen. Dem Brauch der Zeit entsprechend, könnte sich dieser Ortsgründer auch nach der Flurbezeichnung "Vogelweide" benannt haben - die Jagd mit Vögeln (Falken) war im Mittelalter eine beliebte "Sportart". Dieser Walther war jedoch sicher nicht der große Dichter, dessen Jugendjahre in die Zeit von 1170-1190 datiert werden. Wohl aber könnte es sein Vater gewesen sein, der (wie allgemein üblich) seinen Taufnamen auch einem seiner Söhne gab.
Auch in dem überlieferten Werk des Dichters Walther von der Vogelweide finden sich zahlreiche Hinweise, die diese Hypothesen untermauern: Als "der von der Vogelweide" bezeichnen ihn andere Dichter und auch er sich selbst. In der berühmten Manessischen Handschrift zeigt das Bild Walthers im Wappen wie auch in der Helmzier einen Vogel in einem Käfig - der Hinweis auf ein Vogelgehege, das es auf einer Vogelweide sicherlich gab. Dazu kommt, daß auch Walthers Gönner, Bischof Wolfger von Passau, ein großer Freund der Beizjagd war und sich einige Male im nahen Stift Zwettl und seiner Umgebung aufgehalten hatte. Und daß Allentsteig ein Zentrum der Falknerei war und die Vogelweide von Walthers möglicherweise zur kaiserlichen Falknerei gehörte, ist daraus ersichtlich, daß Hans Hager von Allentsteig 1587 kaiserlicher Falknermeister war.
Zusätzlich verweist Walter Klomfar auf die gesellschaftlichen Beziehungen: "Die Besitzer der Herrschaft Allentsteig stehen in einem verwandtschaftlichen Naheverhältnis zu den Kuenringern, die ihrerseits wieder gute Kontakte zu Bischof Wolfger von Passau pflogen. Das gesamte Gebiet gehörte ja zur Diözese Passau, und Bischof Wolfger hielt sich hier wohl des öfteren auf. Sowohl Wolfger als auch die Kuenringer hatten Verbindungen mit den Babenbergerhöfen in Wien bzw. Klosterneuburg und auch zur babenbergischen Nebenlinie der `Herzoge´ von Mödling, die für die Förderung des Minnesangs berühmt waren."
Den gewichtigsten Anhalt liefert Walther selbst in der sogenannten "Alterselegie": er beklagt darin die Entfremdung von Land und Leuten, erwähnt die nun träge und alt gewordenen Spielgefährten von einst und im gleichen Atemzug auch die Veränderungen in der Natur - Felder seien bestellt, der Wald gerodet. Walter Klomfar sieht darin "eine auffällige Übereinstimmung mit Walthers Enttäuschung bei der Rückkehr in die Heimat und den offensichtlichen Veränderungen im Bereich der Waltherschen Vogelweide durch die schon früh einsetzende Verödung des Dorfes Walthers und vermutlich auch durch das Entstehen des Weilers Perweis mit den damit verbundenen Rodungen auf dem Gebiet der Vogelweide."
Abb. 264 Der 1992 gesetzte Walther-Stein in Walthers, nahe Bernschlag bei Allentsteig. Hinter dem Waldstreifen links oben liegt Perweis.
Abb. 265 Hier stand der Gemeindebrunnen des 1350 verödeten Dorfes Walthers, der 1994 nach alten Vorbildern wiedererrichtet wurde.
1992 wurde im Bereich der einstigen Ortschaft Walthers ein "Walther-Gedenkstein" errichtet. Seine Aufschrift, mit einem Zitat aus einem Gedicht des Dichters, lautet: "An dieser Stelle stand einst das mittelalterliche Dorf `Walthers´ mit einer großen Vogelweide. `In Österreich lernte ich Singen und Sagen´. Walther von der Vogelweide." Seit 1992 wird im Spätsommer ein "Walther von der Vogelweide-Wandertag" veranstaltet. 1994 wurde der Dorfbrunnen von Walthers ausgegraben, nach mittelalterlichen Vorbildern rekonstruiert und feierlich gesegnet. Seit Sommer 1997 gibt es in Walthers zwei neue Informationstafeln.
Neue Erkenntnisse zu Walther von der Vogelweide
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