Die Zerstörung von Groß-Poppen

Groß-Poppen erlitt seit der Aussiedlung das schlimmste Schicksal der vier Pfarrorte auf dem Schießplatz. Schon die NS-Behörden ließen auf Groß-Poppen schießen: In der Zeit während des 2. Weltkrieges wurde praktisch nur auf die Felder geschossen, nicht, wie ab Sommer 1957, auf die Ortschaften. Nur in Groß-Poppen, Klein-Haselbach und Klein-Kainraths  hatten die Deutschen schon gegen Ende des 2. Weltkriegs begonnen, auf deren Häuser zu schießen. Die waren schon etwas `zaumghaut´. Die anderen Ortschaften wären im Jahre 1945 voll besiedlungsfähig gewesen.  Die Russen übten im Ort den Häuserkampf.

Ein anderer Augenzeuge berichtete mir von der Abtragung des Schlosses: Es war in den Jahren 1946 oder 1947. Ich war damals schon aus der Schule. Zuerst wurde ein Bauernhaus  abgetragen, das zum Großteil Ziegelmauern hatte. Dann wurden vom Schloß die Biberschwanzziegeln herabgenommen. Ein Mann aus Groß-Siegharts war mit seinem Traktor bereits so ausgerüstet, daß auch die Dachbalken und  die Mauerziegel schnell herunten waren.

Abb. 129   Kirche und Schloß von Groß-Poppen im Jahre 1959

Das Dach der Kirche, die Decke und das Mauerwerk aus Ziegeln dürften im Jahre 1946 abgetragen worden sein. Durchgeführt wurden die Arbeiten von einer Firma aus dem näheren Waldviertel - sie existiert heute noch.

Auch die Grabkreuze aus Gußeisen und die Nordmauer des Friedhofs dürften noch im Jahre 1946 abgebrochen worden sein - von Österreichern, mit Erlaubnis der  Sowjetmacht. Einige Grabsteine blieben erhalten, manche waren umgefallen. Bis Allerheiligen 1961 konnten die Grabsteine jedes Jahr wieder aufgerichtet werden.  Seither ist auf dem Friedhof von Groß-Poppen aber kein unbeschädigter Grabstein mehr zu finden.

Trotzdem war die Kirchenruine noch im Jahre 1959 - also 2 Jahre nach der Übergabe des Aussiedlungsgebietes an das Österreichische Bundesheer -  erstaunlich gut erhalten, wie auch das Bild aus dem Jahre 1959 dokumentiert.  Die Steinmauern waren noch vollkommen erhalten, auch das untere Mauerwerk des  Turms gab es noch. An der Nordmauer war sogar noch das große Holzkreuz zu sehen.  

Durch ein Notdach wäre die Kirchenruine von Groß-Poppen zu retten gewesen.

Ende September 1955 war eine Innenaufnahme der Ruine gemacht und im Kirchenblatt  veröffentlicht worden. Das Foto zeigt die Steinmauern innen im selben guten Zustand, wie sie 1959 außen waren.

1957 wurde nach der Übernahme des Truppenübungsplatzes durch das österreichische Bundesheer eine Schießbahn mit dem Hauptzielgebiet Groß-Poppen - Rausmanns eingerichtet - kirchliche Stellen wurden nicht gefragt.

Im Jahre 1961 - manche meinen, es könnte 1960 oder schon im Juli 1957 gewesen sein - gab es eine große Beschießung von Kirche und Schloß in Groß-Poppen. Von  den Zeitzeugen, die damals auf der Ehrentribüne sitzen durften, leben noch einige.

Bei dieser ersten Beschießung von Groß-Poppen applaudierten die Ehrengäste auf der Tribüne. Ein Augenzeuge, der damals die gezielte Zerstörung der Pfarrkirche  von Groß-Poppen als Präsenzdiener miterleben mußte, erinnerte sich an den Ausspruch eines Berufssoldaten: Jetzt hat es den Pfarrer aber von der Kanzel  gehaut!  Im Jahre 1961 begann der Beschuß der Kirche. In diesem Jahr wurde u.a. das eben erst hergerichtete Grab der Mutter von Alois Schiller, Allentsteig, vom  Schutt der zerschossenen Nordmauer der Kirche verschüttet.

Kulturgüter sind ein wesentlicher Teil unserer Identität. Wer sie zerstört, zerstört unsere Wurzeln. Kulturgüterschutz muß daher allen ein Anliegen sein.

Zitat aus Truppendienst, Zeitschrift für Führung und Ausbildung im Bundesheer - Nr. 4/1994, S.2

Abb. 130 Schloßruine Groß-Poppen von Nordwest im August 1982. Die Mauern des Schlosses waren  noch beachtlich hoch! Es ist dies mein allererstes Foto, das ich im Aussiedlungsgebiet gemacht habe.

Divisionär Ernst Maerker, ehemaliger Militärkommandant von Niederösterreich, gestand in einer TV-Dokumentation im Gedenkjahr 1988: Ich selber habe mit dem Panzer auf Poppen geschossen.  

Ohne die Unterstützung durch das Übungsplatzkommando - Oberst Helmut Lösch und Oberstleutnant Franz Oberleitner - hätte ich den Platz, auf dem einst die  Pfarrkirche Groß-Poppen gestanden war, nie betreten können. Oberstleutnant Oberleitner sprach sogar von der Möglichkeit, die Ruinenreste freizulegen. Ich sprach die Bitte aus, Kirchenreste und Friedhof zu schonen.

 

Groß-Poppen 1984/85

Abb. 131 Südseite des Schlosses, 1985. Die Mauerreste verschwinden immer mehr.

Abb. 132 Auf dem Schutthaufen der einstigen Nordmauer des Altarraumes liegen mehrere Fragmente  von Grabtafeln. Auf diesem Fragment einer Marmortafel dürfte das Wort Ewiglich zu lesen sein. 1984

Abb. 133 Schutthaufen: ein Teil der Nordmauer der Kirche, 1984

Die Nordmauer der Kirchenruine ist völlig zerschossen, übrig ist ein kümmerlicher Rest. Wenig größer sind die Reste der noch nicht ganz zerschossenen Südmauer.  Den Altarraum gibt es längst nicht mehr; auch keine Fensternischen links und rechts, die sich noch mit etlichen Stuck-Verzierungen schmückten, ebenso keine Apsis. Es  ist nicht ganz leicht festzustellen, wo der Altarraum endete und die Sakristei begann (sie war östlich an die Apsis angebaut). Wo einst Kirchenbänke standen, wuchert  vorne meterhohes Gebüsch, hinten ist Gras über die Steine und den Schutt gewachsen.

Abb. 134 Ostseite der Schloßruine von Groß-Poppen; rechts der Markierung befindet sich der Rest  der Südmauer der Kirche. Der weiße Gegenstand in der linken Bildmitte ist der Fallschirm einer Leuchtrakete. 1984

Abb. 135 Mauerreste der Kirchenruine, August 1984. Alois Schiller und Hermine Authried stehen  auf der zerschossenen Nordmauer, in der Bildmitte das Innere der Kirche, von Gras und Bäumen bewachsen

Außen an der Nordmauer gab es mehrere Grabtafeln: Es dürfte wenig bekannt sein, daß es für die verstorbenen Bewohner des Schlosses eine eigene Gruft gab. Falls  sie in den Nachkriegsjahren nicht aufgebrochen wurde, müßte sie heute noch unversehrt sein. Die Gruft war nämlich vor dem Hochaltar. Der Priester stand beim  Stufengebet und bei der Kommunionspendung direkt auf den Grabplatten im Inneren der Kirche.

Diese Steinmauern der Kirche haben keine Sowjet-Besatzer mehr an Abbruchfirmen verkauft. Man wird auch einmal die Frage stellen: Hat österreichisches Militär Schuld auf sich geladen?

Es tut mir heute noch leid, daß ich das Angebot von Oberst Oberleitner, das Innere der Kirchenruinengrube vom Schutt zu befreien, nicht angenommen habe. Den  Schutt der Nordmauer der ehemaligen Kirche nach Resten von Grabtafeln zu untersuchen, haben wir nur begonnen.

 

Angenommen, das österreichische Bundesheer beschießt Soldatenfriedhöfe und jüdische Friedhöfe. Niemandem wird es schwer fallen, sich die Folgen vorzustellen.  Doch gilt allgemein als gesichert, daß so etwas nicht vorkommen wird. Der Soldatenfriedhof bei Allentsteig (...) ist gepflegt wie ein Wohnzimmerteppichboden.

Auf dem Friedhof von Groß-Poppen, einem der ausgelöschten Orte (...), liegen 4308 namentliche bekannte Menschen bestattet. 3000 weitere sind namenlos.

Der Friedhof ist, wie die anschließende Kirche, bis zur Unkenntlichkeit demoliert worden. (...). Pfarrer Johannes Müllner, Autor zweier Bücher über die  Sakrallandschaft des Tüpl, ist entsetzt: Konfuzius hat schon 500 Jahre vor Christi Geburt gesagt, die Kultur eines Volkes erkenne man daran, wie es die Gräber seiner Ahnen pflegt.

Viele Leute in der Umgebung denken ebenso. Aber sie schweigen. Schweigend begreifen sie die Bedeutung der ungleichen Behandlung: hier die behübschten  Soldatengräber, dort die pietätlos verwüsteten Zivilistengräber."

Zitiert aus Robert Sommer, Allentsteiger Ahnlvernichtung, in: Salto, 4. September 1991, S. 10-12.

Ich bin froh, daß der Soldatenfriedhof in Allentsteig so behübscht ist, aber die Friedhöfe derer, auf deren ehemaligem Grund und Boden das Bundesheer heute  üben darf, hätten auch ein Recht auf Pflege. Das gilt nicht nur für Döllersheim.             J. Müllner

 

Der Friedhof im Granatenhagel

Abb. 136 Der Friedhof von Groß-Poppen: ca. 7000 Menschen sind hier bestattet. Auf den Gräbern schlagen immer wieder Granaten des österreichischen Militärs ein.

Ein Lokalaugenschein 1984: Der Weg zur Kirchenruine war auch für uns so, wie ihn Dir. Willinger im September 1955 geschildert hatte: Ein Steigen durch Wildwuchs  und Gestrüpp. Plötzlich fand das Ehepaar Schiller den vom Kriegerdenkmal noch erhaltenen Sockelteil. Er ist aus Steinen und Zementmörtel gut gemauert.

Den Grabsteinrest von Pfarrer Nigischs (†23. Februar 1913) letzter Ruhestätte fanden wir nicht, wohl aber die beiden Priestergräber, die sich links und rechts nach dem Friedhofseingang befanden.

Erschüttert stand Alois Schiller plötzlich vor dem zerschossenen, mit Steinen von der ehemaligen Nordmauer der Kirche und mit Wildwuchs fast zugedeckten Grab seiner  Mutter. Er ist sich ganz sicher, daß der im Jahre 1961 wiederaufgerichtete Grabstein zu finden wäre: Im Jahr 1961 war die Kirchenruine noch nicht  zusammengeschossen. Das Grab meiner Mutter war ja gleich links bei der Kirche. Direkt an der Nordmauer war noch eine Gräberreihe. Zwischen dem Grab meiner  Mutter und der Gräberreihe direkt an der Nordmauer war ein Weg. Wir haben im Jahre 1961, das weiß ich hundertprozentig - da hätten wir noch einen zweiten  Zeugen da hier in Allentsteig, die haben auch ihr Grab in Groß-Poppen hergerichtet - wir haben im Jahre 1961(!) vom Grab meiner Mutter die Einfassung wieder  zusammengemacht, den Grabstein haben wir wieder aufgestellt, leider haben wir das Grab nicht fotografiert.  

Abb. 137 Der Sockelteil des Kriegerdenkmals, 1984

Abb. 138 Alois Schiller beim Grab seiner Mutter (gekennzeichnet durch einen senkrechten Strich). Der Pfeil zeigt auf die Nordmauer der ehemaligen Kirche. 1984

Abb. 139 Erschüttert steht Alois Schiller vor dem von zerschossenen Steinen und Wildwuchs fast zugedeckten Grab seiner Mutter. 1984

Den Friedhof von Groß-Poppen konnte ich - gemeinsam mit Oberst Oberleitner - im August 1984 und noch intensiver im August 1985 erforschen. In dieser Zeit wurde  von den Bauern, die Felder auf dem Truppenübungsplatz gepachtet hatten, die Ernte eingebracht. Es wurde daher nicht geschossen.

Oberst Oberleitner ließ zuvor das ganze Friedhofsareal nach Blindgängern absuchen. Einmal war ich dabei. Ich durfte aber erst hinaufgehen, nachdem die  Blindgänger und sonstigen Relikte gefunden waren. Bei jeder Suche wurden Blindgänger gefunden. Einmal wurde mir ein solcher gezeigt: ein Kopf war  explodiert, der andere nicht. Fotografieren durfte ich ihn aber nicht. Waffen zu fotografieren, auch wenn es Blindgänger waren, erlaubte mir Oberleitner nie - ich legte auch keinen Wert darauf.

Oberst Oberleitner kannte die genaue Lage des Friedhofs von Groß-Poppen sehr gut, nur das hohe Gras, die vielen Granatlöcher und Erdaufwürfe hinderten uns.  Einmal ließ er das Gras abbrennen und die Granatlöcher auf dem Friedhof zuschütten. Bei unserer Suche nach Grabeinfassungen und Steinsockeln, die vor  der Russenzeit gußeiserne Kreuze getragen hatten, durfte ich dem Herrn Oberst auch einen Krampen und eine Schaufel geben.

Abb. 140 Oberst(leutnant) Franz Oberleitner steht auf der zerschossenen Nordmauer und zeigt in Richtung Norden auf die Stelle, wo sich noch sichtbare Reste von Gräbern befinden. 1984

Abb. 141 Durch das Gras hindurch wird ein Grabsteinrest mit einem besonders schön eingemeißelten Kreuz sichtbar.

Obwohl nicht wenige Gräber keine Grabeinfassungen hatten, fanden wir im August 1984 doch einige davon und auch einige Steinsockel, die in der Besatzungszeit der  Gußeisenkreuze beraubt worden waren. Noch mehr Glück hatten wir im August 1985: wir fanden links nach dem ehemaligen Eingangstor zum Friedhof die eiserne  Grabeinfassung von Pfarrer Nigischs letzter Ruhestätte. Auch von den steinernen Kreuzen der Priestergräber fanden wir Teile. Wir ließen aber alles an Ort und Stelle.  Schon damals - 1984 - fanden wir keine einzige unversehrte steinerne Grabeinfassung - sie sind alle durch das Schießen verletzt. Bei manchem Grab  fanden wir nur mehr einen Teil der Grabeinfassung, die Reste entdeckten wir auf einem anderen Grab. Auch manche Sockelsteine waren nur teilweise erhalten. Teile davon lagen einige Meter entfernt.

Nach 1985 war ich mehr als 5 Jahre lang überhaupt nicht am Friedhof in Groß-Poppen. Bei der Kulturgüterbegehung am 9. April 1990 mit einem Kulturgüterschutzoffizier des Bundesheeres entdeckte ich sofort eine  Grabeinfassung. Auf dem ganzen Friedhofsareal war das Gras und Gestrüpp abgebrannt, die Granatlöcher waren zugeschüttet. Es wäre herrlich gewesen, auf dem Friedhof zu forschen, doch wir hatten nur wenig Zeit.

Abb. 142 Am 20. August 1984 zeigte mir Oberst(leutnant) Oberleitner die Mauerreste der Kirchenruine. Im  Bild steht er auf der zerschossenen Nordmauer, in der Bildmitte das Innere der Kirche, von Gras und Bäumen bewachsen.

Abb. 143 Im Vordergrund des Bildes ist ein Trichter eines Granattreffers im Bereich von Schloß und Kirche von Groß-Poppen erkennbar. 1985

Abb. 144 Grabeinfassung auf dem Friedhof in Groß-Poppen, August 1995

Zwei Unteroffiziere sagten zu mir am 20. August 1995, direkt auf dem Friedhof in Groß-Poppen: Wir schießen nicht mehr gezielt auf den Friedhof. Das sind  Kurzschüsse, die hier explodiert sind. Wäre der Friedhof in Groß-Poppen 1957 Hauptzielraum geworden, wenn man gewußt hätte, daß dort mindestens 7.000  Menschen bestattet sind und daß davon 4.308 sogar namentlich bekannt sind?

Teile der Mariensäule vom Friedhof in Groß-Poppen befinden sich heute vor der Martinek-Kaserne in Baden. Als Sockel dient heute ein Teil der Mariensäule von  Edelbach. Seine Aufschrift lautet: Maria advocata nostra ora pro nobis! (Maria, unsere Fürsprecherin, bitte für uns!). Die Fragmente wurden wohl um 1960 von der  Bundesheereinheit, die oft auf dem Schießplatz übt, gerettet und nach Baden gebracht.

Ab. 145  Die heute zusammengesetzten Fragmente der Mariensäulen von Edelbach (Sockel) und Groß-Poppen (Säulenstumpf) befinden sich derzeit auf dem Areal der Kaserne in Baden, 1996

Abb. 147 Friedhof Groß-Poppen, im Sommer 1938 . In der erkennbaren Nische des würfelförmigen  Unterhaus der Mariensäule entdeckten meine Helfer und ich im August 1995 einen Opferstein aus Granit.

 

Minister: Das wußte ich nicht!

Bei einem Sprechtag am Gemeindeamt Allentsteig wurde Dr. Werner Fasslabend, Bundesminister für Landesverteidigung, am 29. April 1993 mit dem Thema  Groß-Poppen konfrontiert: Warum lassen Sie auf einen Friedhof schießen? - Ich lasse nicht auf einen Friedhof schießen! - Doch, das Zielgebiet der Schießbahn  Groß-Poppen ist der Friedhof. - Das höre ich zum ersten Mal! Das wußte ich nicht. Das höre ich wirklich zum ersten Mal!

Friedhofsbesuch 1995

Im August 1995 wurde ich von einem ORF-Journalisten ersucht, am Freitag, dem 25. August 1995, im ORF-TV über den Zustand des ehemaligen Friedhofs in  Groß-Poppen zu berichten. Da ich seit April 1990 - damals im Rahmen einer Kulturgüterbegehung mit einer ganzen Delegation - nicht mehr auf dem ehemaligen  Friedhof war, wollte ich mich am Sonntag, dem 20. August, an Ort und Stelle informieren.

Zwei Unteroffiziere hatten mir den Vorschlag gemacht, den jetzigen Friedhof in Edelbach so zu sanieren, wie es der Teil um das Friedhofskreuz bereits ist. Nach  einer kurzen Besichtigung in Edelbach ersuchte ich die beiden Unteroffiziere, Nachfolger des Offiziers Oberst Oberleitner zu werden und mit mir auf dem Friedhof  in Groß-Poppen nach Grabeinfassungen und Kreuzsockelsteinen zu forschen. Widerwillig folgten sie mir, bis ich ihnen versprach, die ganze Verantwortung auf mich zu nehmen.

Mit meinen beiden Begleitern konnte ich zu meiner Überraschung zwei beschädigte Grabeinfassungen und mehrere Kreuzsockelsteine freilegen, die mir nicht (mehr) in  Erinnerung waren - sie waren nur 15 cm mit Erdreich überdeckt. Ein weiteres Grab erkannten wir daran, daß die Grabblumen von damals wild weiterwachsen. Darüber  hinaus fanden wir einige Sockelsteine, die bis etwa 1946 Gußeisenkreuze getragen hatten. Auf diesem Friedhof muß man schon Archäologe sein, um die meisten  Grabstellen zu finden. Die Gräberreihen um die Kirchenruine herum sind am schwersten zu finden, weil der Schutt der zusammengeschossenen Kirchenmauern darüber liegt.

Von der Kirche selbst ist heute nur mehr eine Grube, teilweise gefüllt mit Schießschutt, vorhanden.

Zuletzt gruben wir an der Stelle, wo bis in die Besatzungszeit die Mariensäule auf dem Friedhof in Groß-Poppen gestanden war. Zu unserer großen Überraschung  entdeckten wir dort - mitten im Friedhof - einen eingemauerten Opferstein aus Granit und legten ihn zur Hälfte frei. Er wurde einige Tage später geborgen und soll,  nach Entscheidung des Tüpl-Kommandos, in der Friedenskirche in Döllersheim aufgestellt werden.

Eine Grabeinfassung sowie mehrere Sockelsteine, die ich in früheren Jahren wiederentdeckt und gefilmt bzw. fotografiert hatte, konnten wir im hohen Gras  einfach nicht finden. Den jungen Unteroffizieren, die sich überzeugen wollten, ob hier wirklich ein Friedhof war, gilt meine Hochachtung. Es gäbe hier noch viele Gräber  freizulegen und die beiden Soldaten wären bereit, Gräber von Angehörigen noch lebender Aussiedler zu suchen und die Einfassungen oder Kreuzsockel freizulegen.

Da wir zusätzlich mit dem bis zu einem Meter hohen Gras zu kämpfen hatten, waren wir nach zwei Stunden fast am Ende unserer Kräfte.

Abb. 148 Beschädigte Grabsteinfassung, freigelegt von zwei jungen Unteroffizieren. Dahinter links die kargen Reste der Kirchenruine, rechts die Schloßruine, 1995

Ich wäre schon sehr dafür, im Herbst oder im Frühjahr das Gras zu beseitigen, die Granatlöcher mit den Erdaufwürfen zuzuschütten und alle noch erkennbaren  Grabstellen freizulegen - natürlich nur an schießfreien Tagen. Für die Bundesheerdienststellen ist zu bedenken, daß sich dort die Gräber derer befinden, auf deren einstigem Grund und Boden heute geübt werden kann.

Abb. 149 Schlagzeilen des Kurier nach der Verwüstung des aufgelassenen jüdischen Friedhofs von Stockerau: NÖ Staatspolizei jagt Friedhofs-Schänder

Abb. 150 Die Reste der Kirchenruine, Blickrichtung Osten, August 1995. Besonders arg zerschossen ist die Südmauer – seit 1990 ist sie fast um einen halben Meter kleiner geworden.

Abb. 151 Im August 1995 überraschenderweise freigelegt: der Opferstein auf dem Friedhof von  Groß-Poppen. Er hat sich bei der Mariensäule befunden. Ob er zukünftig im Aussiedlermuseum in Allentsteig oder in der Friedenskirche in Döllersheim ausgestellt wird, ist noch offen.

Die Freilegung der Kirchenruine und der Gräber in Groß-Poppen ist dringend notwendig. Auf dem Friedhof möge wenigstens ein Kreuz als christliches Mahnmal  errichtet werden.         

 Pfarrer Johannes Müllner

Problem Groß-Poppen im ORF-Fernsehen

In der ORF-Fernseh-Sendung Willkommen Österreich am 25. August 1995 nahm der damalige Kmdt des  Übungsplatzes, in Diskussion mit mir zu diesem Thema Stellung.

Kommandant: Es gibt seit dem Jahre 1938 keinen Friedhof Groß-Poppen mehr. Die Kirche hat, im  Jahre 1938 beginnend, mit der Aussiedlung alle Pfarren und Friedhöfe säkularisiert. ... Umbettungen sind ermöglicht worden und es ist davon auch Gebrauch gemacht worden.

Frage der Moderatorin an den Kommandanten: ... bis 1938 sind dort über 7.300 Menschen bestattet und nach dem 2. Weltkrieg sind nur wenige exhumiert worden. Da kann man sich ja  ausrechnen, daß dort noch sehr viele Menschen bestattet sind und noch immer dort liegen.

Kommandant: Das ist durchaus richtig und auch durchaus denkbar so. Auch ich weiß, daß nicht  sehr häufig von Exhumierungen Gebrauch gemacht wurde, aber es ist in keinem Fall so, daß, wie hier gezeigt wurde, man noch Menschengebeine finden kann und ähnliches mehr. Sie finden dort  überhaupt nichts mehr, wenn Sie hingehen.

Frage des Moderators an Pfarrer Müllner: ... Sie sind dort hingegangen ...?"

Pfarrer Müllner: Ja, am Sonntag. Und da sah ich natürlich am Friedhof große Löcher bis zu einem  halben Meter tief und dann wieder Erdaufwürfe. Ich hab´ dann eine Grabeinfassung ausgegraben, bin dann noch auf einige Sockel gestoßen, wo einmal Gußeisenkreuze gewesen sind ...

Ich habe einige Aussiedler aus Groß-Poppen gefragt, ob es Exhumierungen auf dem Friedhof von Groß-Poppen gegeben hat. Die Befragten konnten sich nicht an solche erinnern: Kann das  Üpl-Kommando Exhumierungen nachweisen? Von Aussiedlern habe ich tatsächlich schon Befürchtungen gehört, die Granatlöcher auf dem Friedhof könnten auch Totengebein als Inhalt  haben. Die Granatlöcher auf dem Friedhof sind zumeist bis zu einem halben Meter tief. Da die Toten mindestens in 1,5 m Tiefe liegen, fand ich bisher kein Menschengebein, obwohl ich fast immer  Angst hatte, welches zu finden.

Auf dem Friedhof in Groß-Poppen war ich schon sehr oft, fast immer in Begleitung von Offizieren  oder Unteroffizieren. Ich möchte keinem Aussiedler raten, selbst wenn er einen Passierschein besitzt, ohne Begleitung auf den Friedhof hinaufzugehen. Da es mir niemand verwehrte, nutzte ich  bei diesem TV-Gespräch die Gelegenheit, die Aussiedler im Namen der Diözese um Entschuldigung zu bitten, daß von Seiten der Diözese nichts gegen Beschuß und Zerstörung der Kirche und des  Friedhofs in Groß-Poppen unternommen wurde.

Wer einen Friedhof schändet, schändet die Toten und Lebenden gleichermaßen und in Wirklichkeit auch Österreich. 
Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky am 8. November 1992 anläßlich der Beschmierung von Grabsteinen auf dem Jüdischen  Friedhof in Eisenstadt

 

In einer Zeitung war darauf zu lesen: Nicht einmal der genaue Standort des Gottesackers läßt sich feststellen. (...) Wir schießen wirklich nicht gezielt auf den Gottesacker. Unter WIR ist das Bundesheer gemeint.

Es mag schon sein, daß auf die Kirchenruine und auf den Friedhof seit Allerheiligen 1961 nicht gezielt hingeschossen wird. Tatsache ist jedoch, daß die Kirchenruine  jetzt bis auf spärliche Mauerreste zusammengeschossen ist.

Als Entschuldigung wird heute auch angeführt, die Kirche selbst habe die Entweihung des Gotteshauses vorgenommen. Gemeint ist damit die Herausnahme  des Reliquiensteines am Altar durch Bischof Memelauer 1938. Diese Zeremonie - falls sie in Groß-Poppen überhaupt stattgefunden hat - wird heute hochgespielt.  Canon 1212 des kirchlichen Gesetzbuches lautet aber: Heilige Orte verlieren ihre Weihe oder Segnung, wenn sie zu einem großen Teil zerstört oder profanem  Gebrauch für dauernd durch Dekret des zuständigen Ordinarius oder tatsächlich zugeführt sind.

Nicht der Diözesanbischof Michael Memelauer hat am 31. Juli 1938 die Kirchen und den Friedhof von Groß-Poppen zerstört, sondern alle, die dazu beigetragen haben, daß Kirche und Friedhof heute so aussehen.

Wenn heute behauptet wird, Nicht einmal der genaue Standort des Gottesackers läßt sich feststellen, so bin ich gerne bereit, meine Erfahrungen aus meinen  Grabungsarbeiten in den Jahren 1984, 1985, 1990 und 1995 einzubringen. Nur würde ich um die Mitarbeit von tüchtigen Unteroffizieren und Offizieren - wie Oberst  Oberleitner einer war - bitten. Schon im August 1984 hatte ich an Oberst Oberleitner die Bitte um Aufrichtung eines Kreuzes auf dem Friedhofsareal in Groß-Poppen  gerichtet. Er sagte mir damals, das hätte wenig Sinn, weil es ja bald wieder zusammengeschossen würde. Jetzt aber, da öffentlich behauptet wurde, daß das  Militär-Kommando nicht gezielt auf den Gottesacker schießen läßt, wage ich meine Bitte von 1984 zu erneuern, auf dem Friedhof in Groß-Poppen ein Kreuz zu  errichten. Beim Gottesdienst zum Aussiedlertreffen am 2. Juni 1996 in Allentsteig forderte Stadtpfarrer GR Josef Nowak die Aussiedler auf, sich für ein Kreuz auf dem  Friedhof in Groß-Poppen einzusetzen. Ostv Elmar Peter, Personalvertreter im Panzerartilleriebataillon 3 am Truppenübungsplatz und einer der beiden Helfer bei  der Gräbersuche in Groß-Poppen im August 1995, schrieb an Stadtpfarrer Nowak und mich: ...es ist meiner Meinung nach unerheblich, ob der Friedhof `aufgelassen´  wurde oder nicht. Die Toten haben Anspruch auf ordentliche Behandlung ihrer Gräber, zumindest aber auf ein Kreuz in ihrer Mitte. Auch auf dem Truppenübungsplatz Allentsteig.

Wer Unrecht tatenlos zuläßt, wird mitschuldig.   
Bischof Erwin Kräutler

 

Toten- und Aussiedlergedenkstätte

Das Haus Nr. 47 in Groß-Poppen, das Gasthaus Schäffer/Floh, wurde noch in der NS-Zeit aus verkehrstechnischen Gründen abgetragen. Der noch erhaltene Keller  dieses Hauses dient seit 1983 als Ort der Selbstfindung der Pfarre Groß-Poppen. Weil es unmöglich ist, den Friedhof zu betreten, werden hier Kerzen angezündet - für die Toten auf dem Friedhof, für die Aussiedler.

Abb. 152 Ein Kellergewölbe dient als Gedenkstätte. Es war der Weinkeller des Hauses Nr. 47. 1984

Abb. 153 Elfriede Schiller zündet hier im Keller öfters eine Kerze an: für die über 7.000 Menschen,  die im zerschossenen und vor Schutt und Wildwuchs bedeckten Friedhof begraben liegen. Der Keller gehörte zum Haus ihrer Großeltern. 1984

 

Am Sonntag, dem 15. September 1985, fand vor dieser Gedenkstätte ein Wortgottesdienst, geleitet von Stadtpfarrer Josef Nowak von Allentsteig, statt. Viele  Allentsteiger, darunter auch zahlreiche Aussiedler, nahmen daran teil. Die zweite Fußwallfahrt von Allentsteig nach Groß-Poppen fand am Sonntag, dem 20.  September 1987, statt. Erst 50 Jahre nach der Zwangsaussiedelung konnte am Sonntag, dem 12. Juni 1988, - wie in Edelbach - auch in Groß-Poppen wieder eine  Hl. Messe gefeiert werden. Im Gedenkjahr 1988 wurde am Südende des Sees in Allentsteig, wenige Meter außerhalb der Sperrgebietsgrenze, ein Gedenkkreuz der  Aussiedler errichtet, das am Allerseelentag dieses Jahres geweiht wurde. Elfriede Schiller hatte sich zwei Jahre lang für diese Gedenkstätte eingesetzt, durch die  Unterstützung von RegR Ing. Stangl kam die Bewilligung und Errichtung zustande.

Abb. 154 Elfriede Schiller, die Mutter der Aussiedler, vor der Totengedenkstätte, 1985

Abb. 155 Das Aussiedlerkreuz am Südende des Allentsteiger Sees. 1988

Abb. 156 Die Teilnehmer an der Fußwallfahrt von Alentsteig nach Groß-Poppen am 20. September 1987

Abb. 157 Die erste hl. Messe in Groß-Poppen seit 50 Jahren mit Stadtpfarrer Josef Nowak von  Allentsteig, 12. Juni 1988. Gottesdienste gab es in Groß-Poppen bereits im September 1985 und 1987.

Die Wallfahrtskapelle zum Hl. Gregor im Thurnholz

Abb. 158 Inneres des St. Gregorius-Kirchleins bei Groß-Poppen, nach einer Radierung in der Topographia Windhagiana aucta von 1673

Abb. 159 Ansicht des bis 1786 bestehenden Wallfahrtskirchlein zum hl. Gregor und des St. Jodoks-Brunnen im Thurnholz bei Groß-Poppen, nach einer Radierung in der Topographia  Windhagiana aucta von 1673

Abb. 160 Säule aus dem Thurnholz, heute im Meierhof Allentsteig, 1984

Etwa 1 km südlich von Groß-Poppen liegt - nach Aussage von Waldarbeitern noch heute - im Thurnholz ein Waldbrünnl. Daneben erinnerte 1911 ein Schutthaufen an  die Stelle, wo bis 1786 das Wallfahrtskirchlein St. Gregor stand. Im frühen Mittelalter befand sich in nächster Nähe davon die Burg des Geschlechts der Herren von  Rausmanns. Die Kapelle hieß im Mittelalter St. Gran oder St. Grain. Joachim Freiherr von Windhag ließ, als er das Gut Rausmanns kaufte, anstelle des  verfallenden Kirchleins eine neue Kapelle zu Ehren des hl. Gregor mit einem reichgeschmückten Altar erbauen. Über dem Waldbrünnl daneben ließ er durch  Baumeister Bartholomäus Lukas von Waidhofen eine dem hl. Jodok geweihte Kapelle errichten - vermutlich im Andenken an seinen Vater, der den Namen Jodok trug.

Unter Kaiser Joseph II. wurde die Wallfahrtskapelle zum hl. Gregor im Thurnholz im Jahre 1786 gesperrt und abgebrochen.

Von den 5 steinernen Säulen, die Freiherr Windhag um 1660 vom Schloß Poppen zur Wallfahrtskapelle im Thurnholz hatte errichten lassen, gab es 1911 nur mehr  eine. Heute steht diese Säule im Meierhof des Schlosses in Allentsteig - eine herrliche Tabernakelsäule mit den Darstellungen Krönung Mariae, Kreuzigung und  Auffindung Christi im Tempel. Andere sollen sich, als Stallwölbung dienend, im ehemaligen Schloß Göpfritz befinden.

 

©Copyright Verein Information Waldviertel

... und über das Gebiet rund um Döllersheim:   www.allentsteig.at   www.walthers.at
 

Zerstörung