Ein Stück Waldviertel, das nur wenige kennen
Das vorliegende Buch versteht sich als Dokumentation eines verdrängten Stücks Zeitgeschichte ab den verhängnisvollen Tagen in den 1930er Jahren: Damals wurde bekannt, daß die Bewohner des fruchtbaren Kulturlandes im Zentrum des Österreichischen Waldviertels wegen der Errichtung eines Schießplatzes zwangsentsiedelt werden.
Wenige Wochen nach der Okkupation Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland begann die Deutsche Wehrmacht im Sommer 1938 im Waldviertel mit der Errichtung eines Schießplatzes. Er sollte "durch eine genau überlegte, in ihrer Realisierung handstreichartige Verfügung der NS-Militärbehörden" mit rund 19.081 Hektar "der größte des Deutschen Reiches" werden. Daß Hitlers Großmutter hier lebte und sein Vater in Strones bei Döllersheim geboren wurde, war kein Hinderungsgrund. Am 8. August 1938, 13 Monate vor Beginn des 2. Weltkriegs, fand das erste Scharfschießen der Deutschen Wehrmacht in den Dörfern rund um Groß-Poppen und Edelbach statt.
Bis 1942 mußten zwischen den Bezirksstädten Zwettl, Horn und Waidhofen/Thaya nicht weniger als 42 Ortschaften, mehrere Streusiedlungen, Einzelgehöfte und Mühlen geräumt werden, vier Pfarren werden von der Landkarte gelöscht, fünf weitere schwer getroffen. Die rund 7.000 Bewohner, denen zum Teil nicht einmal Zeit zum Einholen der Ernte eingeräumt wird, wurden von der "Deutschen Ansiedlungsgesellschaft" ausgesiedelt. Manche erhielten Neubauhöfe im Waldviertel, manche kauften Höfe in anderen Regionen Österreichs, andere mußten die Ablösesumme auf einem Sperrkonto deponieren, das sich nach dem Krieg in nichts auflöste. Ihnen allen gemeinsam ist die Trauer um ihre verlorene Alte Heimat.
Am 15. August 1945 beschloß die provisorische Staatsregierung Österreichs die Wiederbesiedlung. Die Behörden erstellten Arbeitsprogramme für die Wiederbesiedlung, nach Verhandlungen und Vorbereitungen wurde am 7. Februar 1946 von der Bezirkshauptmannschaft Zwettl bei großer Unterstützung der Waldviertler Bevölkerung der Beginn der Wiederbesiedlung bekanntgegeben, die von den Randgemeinden ausgehen und sich allmählich den völlig entsiedelten Orten nähern sollte. Am 1. Jahrestag des Kriegsendes, am 8. Mai 1946, erklärte der Bürgermeister von Zwettl, Johann Winkler, in einer Festsitzung des Gemeinderates: "... Einer unserer größten Wünsche und Bitten ist es, daß uns dieses fruchtbare Gebiet von Seite der Besatzungsmacht zur Verfügung gestellt wird, damit wir endlich mit der Bebauung beginnen können..." Die Wiederbesiedlung der Dörfer in den Randgebieten setzte auch tatsächlich ein: zu den Aussiedlern, die keine neue Heimat mehr gefunden hatten und als "Zweitsiedler" z.B. in Edelbach lebten, kamen Heimatvertriebene aus Südtirol und dem Sudetenland hinzu.
Doch nach dem Befehl des Oberbefehlshabers vom 27. Juli 1946 beschlagnahmte die sowjetische Besatzungsarmee, die den Aktivitäten zunächst positiv gegenübergestanden war, den Truppenübungsplatz Döllersheim als "deutsches Eigentum", stationierte bis zu 60.000 Soldaten und beutete das Areal als Wirtschaftsterritorium aus. Die Ortschaften, von der Deutschen Wehrmacht großteils geschont, wurden im Tauschhandel zum Abbruch und zur Entnahme von Baumaterial freigegeben, womit ein rapider Verfall eingeleitet wurde.
Abb. 1 Pfarrzugehörigkeit der 42 entsiedelten Orte
Nach dem Staatsvertrag 1955 bestand erneut die Hoffnung, daß die Äcker und Wiesen um Döllersheim wieder Bauernland würden, eine agrarische Musterkultur,
Zeitungen berichteten über das Projekt einer Europäischen Universität oder einem Forschungsreaktor zu friedlichen Zwecken auf dem ehemaligen Schießplatz. Die Aussiedler wurden veranlaßt, Anträge auf Rückstellung ihres ursprünglichen Besitzes zu stellen. Doch die Wiederbesiedlung wäre zu teuer gewesen, so Bundeskanzler Raab. Die Republik Österreich schuf mit den Staatsvertragsdurchführungsgesetzen 1957 eine Gesetzeslage, wonach die Aussiedler kein Anrecht mehr auf ihren früheren Besitz hatten. Das von Zweitsiedlern bewohnte Edelbach wurde 1952 entsiedelt, einige andere wiederbesiedelte Orte wie Wurmbach, Steinbach und Flachau - im Gebiet des Übungsplatzes bzw. der Windhag´schen Stiftung gelegen - wurden nach 1961(!) endgültig entsiedelt, die Häuser wurden abgetragen, weggebaggert - zuletzt in Neunzen und Wurmbach 1989.
Im Mai 1957 wurde das entsiedelte Areal im Städtedreieck zwischen Zwettl, Horn und Waidhofen/Thaya, bis dahin von der Niederösterreichischen Landesregierung verwaltet, dem Österreichischen Bundesheer als Übungsplatz übergeben: 156,77 km2 des Waldviertels - eine Fläche fast so groß wie das Fürstentum Liechtenstein - bleiben militärisches Übungsfeld, umbenannt von "Truppenübungsplatz Döllersheim" zu "Truppenübungsplatz Allentsteig". Die Anträge der Bauern wurden abgewiesen, allein die Windhagsche Stipendienstiftung wurde entschädigt - mit völlig anderen Grundstücken als zuvor, in dreifachem Ausmaß ihrer früheren Besitzungen um Groß-Poppen. Das Unrecht, das Österreichern durch ihre eigenen Volksvertreter zugefügt wurde, beschäftigte noch 1995/96 das Parlament: auf Initiative des "Vereins der Freunde der Alten Heimat" wurden den Aussiedlern zum 50jährigen Bestehen der 2. Republik als Geste 70.000,-Schilling aus dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus zugesprochen.
Was an Kulturgut Spekulanten und dem Zahn der Zeit zu trotzen vermochte, wurde beschleunigtem Verfall preisgegeben. Wie Zeitzeugen zu berichten wissen, wurden ab 1960 die Kirche und das Schloß von Groß-Poppen gezielt beschossen, in der Kirche in Edelbach wurden Sprengübungen durchgeführt, der Kirchturm von Oberndorf diente als Ziel von Panzergranaten. Geschont werden weder sakral besetzte Orte, noch wertvolle Architektur gotischer Landkirchen, noch ins Mittelalter zurückreichende Schlösser. Der Friedhof von Groß-Poppen liegt bis zur Stunde in einer Schießbahn für schwere Waffen.Allein die Pfarrkirche und das Bürgerspital von Döllersheim sowie der Dürnhof bei Stift Zwettl wurden in den 80er Jahren aus Gründen der Denkmalpflege aus dem Sperrgebiet herausgenommen, vor weiterem Verfall geschützt bzw. sogar wiederaufgebaut. Der Dürnhof beherbergt heute Europas einziges Museum für Medizin-Meteorologie, die Kirche von Döllersheim ist seit 1986 als Friedenskirche geweiht. In den 70er und 80er Jahren wurde der nordwestliche Teil des entsiedelten Gebiets wiederholt als mögliche Lagerstätte für Atom- oder Sondermüll genannt. Nach jüngsten Forschungsergebnissen dürfte hier die Heimat des berühmten Minnesängers Walther von der Vogelweide liegen. Bis heute, da wir an der Wende zum nächsten Jahrtausend stehen, ist die Causa Übungsplatz Döllersheim-Allentsteig für Österreich noch immer ein Stück nicht bewältigter Geschichte. Dazu wächst rund um das ausgesiedelte Herzstück des Waldviertels die Angst, welche Pläne die Militärs der Europäischen Union bzw. der NATO für den Schießplatz schmieden, der sich von einer Kulturlandschaft zurückentwickelt hat zu einer einzigartigen Naturlandschaft, einem großartigen und schützenswerten Biotop - in der Presse auch als "Heimlicher Nationalpark Österreichs" bezeichnet.
Warum gerade hier?
"`Das ist alles so plötzlich gegangen: im März war der Einmarsch vom Hitler und im Mai sind schon die Militärfahrzeuge herumgefahren, Offiziere sind drinnengestanden mit Generalstabskarten in der Hand. Wir haben nicht gewußt, was los ist. Was tun die da bei uns? Was fahren die dauernd kreuz und quer?´ - Für die verwunderte Waldviertler Bevölkerung gab es keine Erklärung..."
Die Frage, weshalb gerade diese Waldviertler Landschaft als Schießplatz ausgewählt wurde, beschäftigt seit Jahrzehnten die Historiker. Tatsache ist, daß es schon in der Kaiserzeit in Germanns bei Neu-Pölla und in Oberndorf Manöver gegeben hat, sowie daß das Bundesheer der Ersten Republik in Brugg geübt hat. Es gibt aber im Waldviertel und auch anderswo in Österreich viele Gebiete, auf denen schon Manöver stattgefunden hatten. Das Argument des kargen Bodens ist nicht haltbar. In dieser Gegend wurde z.B. Weizen gebaut, der in meiner Heimat Unter-Windhag bei Schweiggers damals einfach nicht gebaut werden konnte, weil die Ackerböden dort zu karg waren. Warum gerade hier von der Deutschen Wehrmacht der Übungsplatz angelegt wurde, wird sich vielleicht nie ganz klären lassen. Eine der Hypothesen besagt, daß das Areal für die Expansionsbestrebungen des Dritten Reiches und die Heranbildung einer schlagkräftigen Wehrmacht errichtet wurde. Doch zur Zeit des Einmarsches der Wehrmacht in das heutige Tschechien war der Übungsplatz für die meisten Invasionstruppen nicht die Ausbildungsstätte gewesen. Weit verbreitet in der Waldviertler Bevölkerung ist die Meinung, wonach Hitler selbst dieses Gebiet ausgesucht hätte, um gleichsam die Spuren seiner Herkunft zu verwischen - seine Großmutter war in Strones geboren worden und sein Vater in der Pfarre Döllersheim aufgewachsen. Hitlers Großmutter soll als Dienstmädchen nach Graz zu einer jüdischen Familie gekommen und schwanger zurückgekehrt sein. Von Historikern wurde und wird derlei gerne als "volkstümliche Legende" abgetan. Jüngere Forschungen belegen, daß derartige Motive durchaus nicht unbedeutend dafür gewesen sein könnten, daß der Übungsplatz gerade hier, in der Heimat von Hitlers Vorfahren, angelegt wurde: "Sitzungsbericht vom 14. August 1943 - Vorschlag 6 - ... zur Vorlage an den Führer angenommen: `Sofortige und bedingungslose Abschaffung sämtlicher Religionsbekenntnisse nach dem Endsieg ... mit gleichzeitiger Proklamierung Adolf Hitlers zum neuen Messias. ... Der Führer ist dabei als ein Mittelding zwischen Erlöser und Befreier hinzustellen - jedenfalls aber als Gottgesandter, dem göttliche Ehren zustehen. Die vorhandenen Kirchen, Kapellen, Tempel und Kultstätten der verschiedenen Religionsbekenntnisse sind in `Adolf Hitler Weihestätte´ umzuwandeln. ... Als Vorbild des Gottgesandten möge die Figur des Gralsritters Lohengrin dienen ...Durch entsprechende Propaganda müßte die Herkunft des Führers noch mehr als bisher verschleiert werden, so wie auch sein künftiger Abgang einmal spurlos und in vollständiges Dunkel zu erfolgen hätte.´ Unter diesen Vorschlag schrieb Hitler: `Der erste brauchbare Entwurf! Zur Bearbeitung an Dr. Göbbels.´ "
Errichtet auf den Tränen vieler
Elisabeth Schöffl-Pöll, Tochter von Aussiedlern aus Edelbach, heute in Hollabrunn beheimatet, verfaßte 1993 diesen Beitrag.
Meine Eltern waren unter den Betroffenen. Sie mußten Haus, Hof, Wiesen, Wald und Felder 1938 innerhalb von sechs Wochen verlassen.
Das damalige Verkehrsmittel für die Suche nach einer neuen Existenz war der Pferdewagen. Mit ihm fuhr nun mein Vater, Erkundigungen über Ersatz-Bauernhöfe einzuholen. Dann wurden die schönen Möbel auf die Pferdewagen gepackt und die Habseligkeiten dazu. So ging es dem 80 km entfernten neuen Heimatort zu, der im Weinviertel lag.
Andere Döllersheimer Aussiedler zogen ins heutige Oberösterreich oder in die Steiermark, wo sie eben Gehöfte fanden. Während die ersten Aussiedler noch finanzielle Abfertigungen erhielten, bekamen die späteren keine mehr. Auch fanden viele keine Ersatzhöfe mehr, schließlich hätten 1400 Häuser gefunden werden müssen. ...
Einzig der Ort Franzen am Rande des Übungsplatzes legte sich quer. Als die Aufforderung zur Aussiedelung kam, wollten der Pfarrer seine Kirche und der Lehrer seine Schule nicht verlassen.
Rund um die Ortschaft wurden Beobachtungsbunker und Feuerstellungen gebaut. Um den Widerstand der Franzener zu brechen, schickte man die Männer an die Front. Doch die Frauen hielten die Stellung. Die Wehrmacht zwickte den Strom ab und räumte die Leitungssysteme weg. Schließlich setzte der Schießbetrieb ein.
Abb. 2 Die Kolonnen der Deutschen Wehrmacht ziehen beim "Anschluss" durch Österreich.
Die Franzener Frauen flüchteten in die Keller. Es wurde durch die Fenster geschossen, doch die Leute verließen ihre Häuser nicht. Erst 1955 wurde die Ortschaft wieder zur Gemeinde erklärt.
Bis 1945 hatte die Deutsche Wehrmacht die noch vorhandenen Gebäude erhalten. Die sowjetischen Verwalter verkauften an Abbruchunternehmen die vorhandene Bausubstanz. Aus der Umgebung und sogar aus Wien rollten nun Fuhrwerke ins Döllersheimer Ländchen und transportierten Ziegel, Balken, und alles Verwertbare ab. Aus Orgelpfeifen wurden Dachrinnen, das Gebiet verwandelte sich in eine Ruinenlandschaft. In einem Bescheid des Finanzministeriums wurde schließlich das Areal 1957 dem neugebildeten Bundesheer als Truppenübungsplatz übergeben. Heute stehen die noch lebenden Aussiedler über engagierte Kontaktpersonen in loser Verbindung. Eine der bekanntesten Persönlichkeiten ist Elfriede Schiller, Aussiedlermutter genannt...
Erschienen in NÖN-Magazin 42/1993, S. 12-13 (gekürzt)
Sakral-Landschaft des gesperrten Landes
Bischof Michael Memelauer sprach beim Abschiedsgottesdienst in Groß-Poppen, am Sonntag, dem 31. Juli 1938, ergreifende Worte, die auch bei der letzten Hl. Messe in Oberndorf verkündet wurden. "Ich kann Euer Leid und Euren Schmerz in dieser Abschiedsstunde nachfühlen. Was Euch lieb und teuer war auf Eurem Heimatboden, das müßt Ihr nun verlassen. Verlassen müßt Ihr den Hof, mit dem Euer Name vielleicht schon seit mehr als einem Jahrhundert verewigt ist. Verlassen die Wiesen und Felder, die Ihr durch Jahre in mühevoller Arbeit betreut habt. Verlassen müßt Ihr Eure Verwandten und Freunde, mit denen Euch die Bande des Blutes verbinden. Verlassen müßt Ihr Eure Kirche, in der Ihr getauft wurdet, in der Ihr die heilige Kommunion empfangen, in der Ihr als Mann und Frau die Hand zum Bund des Lebens gereicht habt. Verlassen müßt Ihr Eure lieben Toten, Eure Gräber, wo Ihr so gerne gebetet habt... Darum bitte ich Euch, in dieser schweren Stunde das Vertrauen auf Gott nicht zu verlieren, eingedenk des psalmistischen Wortes: "So wird der Herr für den Bedrückten zur Burg in Zeiten der Not. Darum vertraut dir, wer deinen Namen kennt; denn du, Herr, verläßt keinen, der dich sucht" (Psalm 9, 10-11)." Bischof Michael Memelauer hatte in P. Prior Josef Leutgeb einen Mann, der von 1938 an bis lange nach 1955 oft am Übungsplatz Nachschau hielt. Er wandte sich oft an die zuständigen Stellen, wenn er von 1945 bis 1955 Zerstörungen an Kirchen, Kapellen und Friedhöfen bemerkte. Leider hatte er ganz selten Erfolg. Ende September 1955 machte P. Prior Josef Leutgeb mit dem damaligen Bischofkoadjutor Dr. Franz König und dem heutigen (Alt-)Abt von Stift Zwettl, P. Bertrand Baumann, eine Exkursion zu allen 4 Kirchen(ruinen). Ausführlich wurde darüber in der St. Pöltner Kirchenzeitung Nr. 40, vom 2. Oktober 1955, berichtet.
Die Kirche in Edelbach war damals im besten Zustand im Vergleich zu den anderen, die alle kein Dach mehr hatten. Österreicher waren es, die - meist um Alkohol - von den Russen die Erlaubnis erhielten, sogar von den Kirchen Dächer und Ziegel abzutragen. Trotzdem hatten die Männer der Kirche Ende September 1955 fest vor, die Kirchen und die Friedhöfe zu retten. Auf die Bitte des sich zuständig fühlenden Dechants von Gföhl Gottfried Kurka ermöglichte der erste Tüpl-Kommandant des Österreichischen Bundesheeres 1957 den Aussiedlern wieder den Besuch des Friedhofes Döllersheim und ließ die erste Allerseelenfeier nach dem Krieg abhalten. Im Lauf dieser Jahre wechselten sich die Priester bei den Allerseelenfeiern in Döllersheim ab: neben Pfarrer Haller waren es der Pfarrer von Rastenfeld GR Leopold Wiesinger und der Pfarrer von Friedersbach GR Franz Wimmer.
Im Sommer 1976 konnte mit der Sanierung der Kirchenruine von Döllersheim begonnen werden. Stadtpfarrer GR Josef Nowak von Allentsteig, Weihbischof Alois Stöger und unser Diözesanbischof Dr. Franz Zak konnten Hl. Messen in der sanierten Kirchenruine feiern. Leider wurde bis 1988 herauf eine Idee geboren: "Friedhof und Kirche in Döllersheim würden stellvertretend für die anderen Kirchen und Friedhöfe am Übungsplatz gepflegt." Die Aufregung unter den Aussiedlern war deshalb groß. Umso größer war die Freude, als - im Gedenkjahr "50 Jahre Aussiedelung im Waldviertel" - am Sonntag, dem 12. Juni 1988, in allen vier ehemaligen Pfarren (Edelbach, Groß-Poppen, Oberndorf und Döllersheim) eine Hl. Messe gefeiert werden konnte. In Edelbach konnte Abt Bertrand Baumann am Friedhof auch das renovierte Friedhofskreuz segnen, verbunden mit der Friedhofssegnung. Vor und nach den Hl. Messen wurde "über das Schicksal der Sakral-bauten, vor allem der ehemaligen Pfarrkirchen auf dem Gebiet des heutigen Tüpl" sehr viel gesprochen. Am 9. April 1990 erfolgte eine Begehung der Sakralbauten im Sperrgebiet mit dem Kulturgüterschutzoffizier Dr. Schuller und weiteren zwei Offizieren. Von der Diözese St. Pölten waren der Diözesankonservator Dr. Johann Kronbichler und ich geladen. Auch das Bundesdenkmalamt war vertreten. Ich konnte bezüglich Edelbach und Oberndorf mehrere Bitten an den Herrn Kulturgüterschutzoffizier richten, die auch zum Teil zu Protokoll (Tonband) gegeben wurden. Leider wurde bis heute keine Bitte erfüllt. Äußerst tragisch ist, was sich in Groß-Poppen seit 1957 ereignet. Die Kirche wurde bei der Errichtung der Schießbahn weder informiert noch gefragt. Die damaligen Politiker haben der Errichtung einer Schießbahn mit dem Hauptzielgebiet Groß-Poppen - Rausmanns nicht nur zugestimmt, sondern haben bei der ersten Beschießung von Groß-Poppen auf der Ehrentribüne sogar applaudiert, wie mir ein Herr sagte, der selbst auf dieser Tribüne sitzen mußte. Ich war nicht der erste und bin hoffentlich auch nicht der letzte, der das Tüpl-Kommando ersucht hat, doch nicht den Friedhof von Groß-Poppen zu beschießen. Die Matriken der Pfarre Groß-Poppen beginnen mit dem Jahre 1662. Vom Jahre 1662 bis zum Jahre 1938 wurden dort 4.308 Menschen bestattet. Immer wieder schlugen dort in den letzten Jahren Granaten ein, auch das Grab der Mutter (!) von Alois Schiller, heute wohnhaft in Allentsteig, wurde schon oft getroffen. Es wäre undenkbar, einen Jüdischen Friedhof oder einen Soldatenfriedhof auf diese Weise zu schänden.
Als wir bei der Pressefahrt am 25. April 1988 auch nach Groß-Poppen kamen, habe ich - in Anwesenheit des damaligen Kommandanten Oberst Lösch - auf all das hingewiesen. Diese Fahrt gehörte bereits zum Gedenkjahr "50 Jahre Aussiedlung im Waldviertel". Zusammen mit Ing. Wolfgang Huber habe ich mich auch bemüht, daß die Reste der Sakralbauten am jetzigen Übungsplatz im neuen DEHIO erwähnt werden. Natürlich ist mir das zuwenig, was dort bezüglich Groß-Poppen geschrieben wurde.
Am 1. Oktober 1991 wurde ich vom Diözesanbauamt ersucht, zum Schreiben des Vereins Information Waldviertel, gerichtet an Diözesanbischof Dr. Kurt Krenn, eine baldige schriftliche Stellungnahme abzugeben. Meine Stellungnahme wurde über das Sekretariat des Bischofs an den Verein übermittelt und im Sommer 1992 in der Allentsteig-Zeitschrift REFLEX veröffentlicht. Abschließend hieß es dort (unter Anspielung auf den Krieg im ehemaligen Jugoslawien): "Anderswo werden Kirchen zerbombt und wir sind empört. Die Zerstörung von geweihten Stätten in unserer nächsten Umgebung berührt kaum jemanden."
Dieses Schreiben war die erste offizielle Stellungnahme der Diözese St. Pölten zur Zerstörung der Kirche und des Friedhofs von Groß-Poppen. Das Schicksal der Sakralbauten im Aussiedlungsgebiet ist eine Tragödie, die von der Diözese nicht verhindert wurde, weil sie - abgesehen vom Besuch des damaligen Bischofkoadjutors DDr. Franz König und des Priors P. Josef Leutgeb vom Stift Zwettl in den aufgelösten Pfarren im Herbst 1955 - stumm war. Wenn heute immer noch Sakralbauten und wertvolles Kulturgut im Sperrgebiet im Waldviertel zerstört werden, dann darf die Diözese nicht mehr schweigen. Viele Aussiedler begrüßen es, daß unwahren Behauptungen endlich entgegengetreten wird.
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