Österreichs heimlicher Nationalpark
(
Der heimliche Nationalpark Österreichs - Zitat BM Dr. Bartenstein)

Die entweihte Heimat als Biotop

Natura 2000

1992 erließ der Rat der Europäischen Gemeinschaften eine Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Unter Natura 2000 ist die Entstehung eines Netzes von  besonderen Schutzgebieten in ganz Europa geplant. Nach dem Beitritt Österreichs zur EU wurden zunächst bestehende Naturschutzgebiete und Nationalparke nominiert, in der Folge zudem weitere besonders schützenswerte  Gebiete. 1997/98 wurde auch die entweihte Heimat, der Truppenübungsplatz Allentsteig, zur Ausweisung vorgesehen.

Erhard Kraus, Natura 2000 – Das System von Schutzgebieten der EU. Umfassende EU-Naturschutzinstrumente. Eine Herausforderung für den NÖ Landesnaturschutz, in: Raumordnung aktuell 1/1998, S. 13 - 16

Eine Nominierung als Natura 2000-Schutzgebiet und Meldung in Brüssel ist bis heute nicht erfolgt. Dies würde vorerst nur bedeuten, dass das Gebiet einem "Verschlechterungsverbot" unterliegt, d.h. daß der  gegenwärtige Zustand erhalten werden muß.

Biotopstudie

Weltweit wurden in den letzten Jahrzehnten großflächig wertvolle Naturlandschaften zerstört. Durch diese Entwicklung hat auch in Österreich die Vielfalt von Tier- und Pflanzenarten abgenommen, nicht wenige Arten sind  vom Aussterben bedroht.

Das entsiedelte Gebiet im Herzen des Waldviertels, seit 1938 als Schießplatz der Militärs genutzt, hat sich v.a. aufgrund der Tatsache, daß es nicht oder kaum landwirtschaftlich genutzt wird, zu einer mindestens für  Europa einzigartigen Naturlandschaft zurück entwickelt – oder wie Minister Dr. Martin Bartenstein formulierte, zu Österreichs heimlichem Nationalpark.

Seit der Öffnung großflächiger militärischer Sperrgebiete jenseits des einstigen "Eisernen Vorhangs" wird die Bedeutung dieser Flächen als Rückzugsräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten erkannt. So  wurde in der ersten Hälfte der 1990er Jahre auch für den 157km² umfassenden Truppenübungsplatz im Waldviertel eine ökologische Zustandsanalyse und ein Maßnahmenkatalog erstellt.

Wie sieht das Gebiet aus?

Mit einer Fläche von ca. 15.700 ha (etwa so groß wie das Fürstentum Liechtenstein) stellt der Truppenübungsplatz zusammen mit Gebieten entlang des Kamptales, der Wild, dem Raum Steinplattenwald - Geißruck -  Perneggergraben - Stockgraben, Oberer Molder Berg-Maria Dreieichen - Unterer Molder Berg - Kuchlmais - Geiersdorfer Wald - Bergwald - Marital - Heidäcker bis einschließlich Plank am Kamp ein Gebiet großflächig  miteinander kommunizierender, wertvoller naturnaher Landschaften dar.

Wegen seiner Großräumigkeit, Unzugänglichkeit und seines enormen Anteils (45%) an Brachflächen (wie sie sind in der heutigen Kulturlandschaft praktisch nicht vorhanden sind), wird der Truppenübungsplatz Allentsteig  in Fachkreisen seit langer Zeit als Rückzugsgebiet für bedrohte Arten gesehen.

Die Studie "Biotoperhebung Truppenübungsplatz Allentsteig" ist auf Anregung der Abteilung Umweltschutz im Bundesministerium für Landesverteidigung in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt entstanden.

Was wurde untersucht?

Im Rahmen der Untersuchungen, die den ökologischen Wert des Truppenübungsplatzes Allentsteig dokumentieren sollen, wurden 1990/91 die Schwerpunkte bearbeitet.

 Landschaft und Vegetation,
 Vogelwelt (ornithologische Kartierung, Bedeutung der Brachflächen für die Vögel),
 Fischottervorkommen,
 Fledermausfauna,
 Amphibien und Reptilien sowie
 Mollusken (Muscheln und Schnecken)

Empfolen wurde die Wiederholung der Untersuchungen im Abstand von jeweils 8 bis 10 Jahren.

Für die Biotopstudie wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe gebildet, die aus Wissenschaftern der Universität für Bodenkultur, des Naturhistorischen Museums, der Österreichischen Gesellschaft für Vogelkunde, dem  Forschungsinstitut WWF Österreich, weiteren Experten aus dem Bereich der Zoologie besteht. Die von der Arbeitsgruppe durchgeführten Erhebungen bildeten die Grundlage für die Erstellung einer Biotoptypenliste, einer  kartographischen Darstellung der schützenswerten Bereiche und mündeten in einen Maßnahmenkatalog für die naturschutzgerechte Behandlung des Truppenübungsplatzes.

Die einleitende Beschreibung des Truppenübungsplatzes aus landschaftsökologischer Sicht gibt einen ersten Eindruck vom Wert seiner Beschaffenheit wieder: "Betritt man als  Besucher das Gelände des Truppenübungsplatzes, fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Man sieht zwar überall noch die Spuren der früheren Besiedlung und der jetzigen militärischen Nutzung, doch die Herrschaft  behalten hier die Pflanzen und Tiere. Verantwortlich für diesen Eindruck sind die großen weiten Flächen, die locker bis dicht mit von selbst aufgekommenen Gehölzen bestanden sind und wie ein riesiger verwilderter Landschaftspark wirken. Mächtige  Einzeigehölze tragen wesentlich zu diesem Eindruck bei, der eigentlich nur durch die Neuaufforstungen gestört wird". (W. Holzner)

 

Die Ergebnisse der Studie

Hinsichtlich Vegetation und Landschaftsökologie sinddie großflächigen Birkenwälder auffällig, die in dieser Ausdehnung und Schönheit in Österreich einzigartig sind. Zu ebenfalls  bereits seltenen Lebensräumen zählen die von der Schwarzerle dominierten Au- und Bruchwälder. Neben großen, steppenartigen Wildnisflächen gibt es viele  kleinflächige Junge Wildnisflächen (Teich- und Seeufer, austrocknenden Einschlagslöchern oder Panzerspuren), die besonders reich an sehr seltenen Arten  sind. Die Ufer der meisten Bäche sind mit Schlammufer, Sandbänken und Steilufern ganz ursprünglich und beherbergen eine Vielzahl von Kleinbiotopen.

Die Reste der früheren Kulturlandschaft (alte Einzelbäume und -sträucher, Hecken, Alleen und bunte, artenreiche Trocken-, Mager- und Feuchtwiesenbrachen) zählen  zu den botanisch wertvollsten Flächen des Truppenübungsplatzes. Sie sind Lebensräume der seltensten Pflanzenarten und müssen unbedingt erhalten werden.  In den Feuchtwiesen(brachen) wächst mehr als ein Drittel – das sind mehr als zehn Arten – aller am Truppenübungsplatz vorkommenden Rote Liste-Arten (d.h. vom Aussterben bedroht) .

Wörtlich heißt es in Kurzfassung der Studie: Der vegetationskundliche Wert des Truppenübungsplatzes liegt weniger im Vorkommen einzelner Biotoptypen, sondern  im Abwechslungsreichtum und der strukturellen Vielfalt des Gebietes. Bäche mit Feuchtwiesen, Röhricht und Bachgehölzen sowie offenen Trocken- und  Magerwiesenbrachen mit Einzelbäumen, übergehend in Birkenwälder, zählen zu den landschaftlich schönsten und ökologisch wertvollsten Bereichen des  Truppenübungsplatzes. Landschaftlich wertvoll sind auch die Äcker mit der alten Streifenflur, die durch Feldraine mit Hecken und Baumzeilen gegliedert sind.

Keinerlei landschaftsökologischen Wert besitzen Neuaufforstungen mit Fichte sowie großflächig angelegte neue Ackerflächen.

Was die Vogelwelt betrifft, war informell zu hören, daß sich im Sperrgebiet im Herzen des Waldviertels eine Vielfalt wie in Europa zur Zeit Josephs II. (d.h. vor mehr als 200 Jahren) findet.

Die Birkhuhnpopulation ist sehr bedeutend, der Wachtelkönig-Bestand bildet überhaupt die größte bekannte Population in Österreich. Der Brutbestand der  Bekassine besitzt nationale Bedeutung, das Vorkommen des Raubwürgers stellt mit knapp 50% des österreichischen Gesamtbestandes die größte Einzelpopulation  dar. In den verfallenen Ortschaften finden sich viele Arten von Brutvögeln. 33 Arten (27%) der Brutvogelfauna des Truppenübungsplatzes finden sich in der Roten Liste  Österreichs. Von den drei potentiell gefährdete Kleinvogelarten Feldschwirl, Wiesenpieper und Braunkehlchen gibt es hier so viele wie sonst nirgends in Mitteleuropa.

Der Truppenübungsplatz hat durch seine landschaftliche Vielfalt und das Fehlen intensiver Landwirtschaft überragende Bedeutung als Zufluchtsort für ehemals weit verbreitete Vogelarten.

Bei Amphibien und Reptilien (Blindschleichen, Ringelnattern, Molche, Frösche...) wurden 13 bzw. 4 Arten gezählt, die in den Bodenvertiefungen infolge militärischer  Übungen (Panzerspuren, Schützengräben etc.) gute Lebensbedingungen finden. Gefährdet werden sie durch intensivere Fischteichnutzung, Aufforstung, Landwirtschaft (Mähen der Wiesen) und Straßenverkehr.

Von den 24 in Österreich vorkommenden Fledermausarten wurden am Truppenübungsplatz 13 Arten gefunden. Intakte Gebäude, Altholzbestände, alte  Obstgärten, Alleen und Bachtälchen sind die für Fledermäuse wichtigen Lebensräume, alte Bunker bieten für die meisten Arten zu wenige Aufhängungs- und  Unterschlupfmöglichkeiten nur von zwei Arten genutzt. Das entsiedelte Gebiet bietet für Fledermäuse Nahrung, Wochenstuben (Brutplätze der Fledermäuse) finden sich  hauptsächlich in den Randbereichen oder im Umland des Schießplatzes.

Fischotter gibt es vor allem am Nordrand des entsiedelten Gebietes im Raum Allentsteig, wo ein enger Zusammenhang mit der Otterpopulation an der Deutschen Thaya oberhalb von Waidhofen/Thaya anzunehmen ist.

An Mollusken (Schnecken und Muscheln), Gradmesser für den ökologischen Zustand einer Region, wurden elf Arten nachgewiesen. Davon sind 48% der Arten  sehr selten, 23% sind gefährdet. Diese Arten werden jedoch nur an 24% der Fundorte festgestellt. Mehrere Vorkommen von typischen Arten der Fließgewässer (wie Flußperlmuschel und Gemeine Flußmuschel) sind wegen der  Wasserverschmutzung und des Aufstaus des Kampflusses bereits erloschen.

Infolge der früheren intensiv bewirtschafteten Landschaft (wie Luftaufnahmen des Gebietes von 1938 zeigen) sind alte Biotope verschwunden und die Molluskenfauna  ist großteils artenarm. Möglicherweise ist die vorherrschende dichte Vegetation ein Hindernis für das Eingraben der Mollusken und das Vergraben ihrer Eier. In den  übrigen Teilen verhinderten die intensive Forstwirtschaft (Fichtenforste) und Landwirtschaft den Neuaufbau einer Molluskenfauna. Der militärische Schießbetrieb  (Granattrichter) schafft für die Molluskenfauna neue Biotope.

Die ökologische Gesamtbeurteilung der Studiebesagt, daß die verschiedenen Lebensräume des Truppenübungsplatzes unterschiedliche ökologische Wertigkeit  besitzen (zB beherbergen Brachflächen wenige Arten an Pflanzen oder Mollusken, jedoch sehr viele Vogelarten). Insgesamt besitzt der Truppenübungsplatz einen  hohen ökologischen Wert, der jedoch in einigen Bereichen noch verbessert werden könnte (siehe Maßnahmenkatalog).

Der ökologische Wert des Schießplatzes wird als Resultat der Absperrung gesehen, die zahlreiche naturschädigende Einflüsse ausschließt oder wenigstens  mildert. Der militärische Übungsbetrieb hat nur geringen störenden, zum Teil sogar positiven Einfluß auf Fauna und Flora – so die Studie.

Empfohlene Maßnahmen

Von den Experten wurden folgende allgemeine bzw. spezielle Maßnahmen zum Schutz von Fauna und Flora im entsiedelten Gebiet empfohlen:

* Beibehaltung des Naturschutzwertes des Truppenübungsplatzes
* Beibehaltung des Status als Sperrgebiet für die Allgemeinheit
* weiterhin rigorose Handhabung bei der Ausstellung von Passierscheinen
* keine weitere Ausdehnung argrarisch intensiv genutzter Flächen
* Verzicht auf weitere Meliorierungs- und Flurbereinigungsverfahren
* Nach Möglichkeit in der Landwirtschaft weitgehender Verzicht auf Dünge- und Spritzmittel im Zentralraum

Umgestaltung großer, zusammenhängender Feldflächen im Zentralraum; Auflockerung der großen Brachbereiche durch Anlage kleinflächiger, extensiv genutzter Wiesen (Mahd alle ein bis zwei Jahre)

* Keine weitere Ausdehnung der Waldfläche durch Neuanlage von Forstkulturen
* Vermeidung forstlicher Monokulturen
* Erhöhung des Strukturreichtums der Wälder
* Auflockerung der Fichtenreinbestände durch Förderung sich natürlich verjüngender Laubhölzer
* Erhaltung der vorhandenen Laubwaldinseln
* zumindest kleinflächenweise Erhöhung der Umtriebszeiten
* Einbürgerungsverbot für alle heimischen und nicht-heimischen Wildtierarten
* keine weitere Intensivierung des militärischen Übungsbetriebes
* kein weiterer Ausbau des Wegnetzes
* generelle Beibehaltung der Wege als Staubstraßen
* keine weiteren Drainagierungsmaßnahmen und Aufforstung der Feuchtbiotope
* Erhaltung der Obstgärten und Alleen
* Naturschutzausbildung für Heeresangehörige

 

Vegetation

Vögel

Amphibien, Reptilien

Fledermäuse

Fischotter

Mollusken

Biotoperhebung Truppenübungsplatz Allentsteig, hg. vom Umweltbundesamt (Monographien Bd. 55), Wien, Juni 1995 und http://www.ubavie.gv.at  (22. Juli 2001)

Die ungekürzte Originalstudie ist im Eigenverlag des Bundesministeriums für Landesverteidigung erschienen.

 

...warum die Naturschönheit des Gebietes den meisten Menschen nicht gegönnt sind

(...) Der Truppenübungsplatz Allentsteig kennt diese Probleme nicht. Derzeit ist alles ruhig, bis auf gelegentliche Geschützdonner, das Zwitschern der Vögel und  das Quaken der Frösche. Aber abgesehen von den Aussiedlern und ihren Nachkommen, deren Herz nach wie vor an der alten Heimat hängt, wird sich auch  die breite Öffentlichkeit wohl noch gelegentlich mit der Frage beschäftigen, warum die Naturschönheit des Gebietes den meisten Menschen nicht gegönnt sind.

Erich Steiner, Refugium mit Geschützdonner. Leben zwischen Panzerketten – der Truppenübungsplatz Allentsteig als Naturjuwel, in: Morgen 03/2000, S 41

Link:
NOE Vogelschutzgebiet

 

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... und über das Gebiet rund um Döllersheim:   www.allentsteig.at   www.walthers.at