Als „Vogelweide“ wird ein Areal bezeichnet, auf dem Vögel gefangen bzw. die im Mittelalter beliebte Jagd mit Greifvögeln wie Falken trainiert und auch ausgeübt wurde. Die Falknerei oder „Beizjagd“ war damals für hochrangige Persönlichkeiten eine Sportart, wie dies heute Tennis oder Golf sind.
Der Begriff „Beizjagd“ leitet sich von mittelhochdeutsch beizen für „beißen machen“, „beißen lassen“ ab. Im Persischen bedeutet das Wort bāz „Falke“. Die Anfänge der Beizjagd liegen im Dunkel der Geschichte, allerdings geht die Forschung davon aus, dass ihre Ursprünge in Mesopotamien (heute Irak) oder bzw. und in der mongolischen Steppe liegen und mindestens in die Zeit um 3000 v. Chr. zurückreichen.
Für die Beizjagd abgerichteter Greifvogel. Das Käppchen über den Augen soll Irritationen vor der Jagd verhindern.
Werbesujet für die Greifvogelschau auf Schloss Waldreichs bei Ottenstein im Waldviertel
Die Bedeutung der „Beizjagd“ zeigt sich darin, dass sogar Kaiser Friedrich II. (1194-1250) ein großer Freund der Beizjagd war und selbst das berühmte sechsbändige Lehrbuch „De arte venandi cum avibus“ (Die Kunst, mit Vögeln zu jagen) über die Falknerei und Vogelkunde verfasste – der erste Traktat dieser Art in der europäischen Literatur. Kaiser Friedrich II. war es auch, der Walther von der Vogelweide um 1220 ein Lehen in Würzburg schenkte.
Vogelweiden, auch mit einem Vogelweidhof, also dem Anwesen des Besitzers und Betreibers der Vogelweide, sind vielerorts zu finden und leben in Flur- oder Straßennamen weiter, so in einem Ortsteil von Wels mit einem Vogelweiderplatz, einer Vogelweiderstraße in Salzburg Stadt und dem Vogelweidplatz in Wien nahe der Wiener Stadthalle. Im niederösterreichischen Waldviertel ist im Urbar der Herrschaft Rappottenstein von 1556 ein Vogelweidhof im Gebiet der Gemeinde Schönbach angeführt.
Vogelweidplatz in Wien, Google Maps
Vogelweiderstraße in Salzburg, Google Maps
Allerdings gibt es nur eine einzige Vogelweide, die unmittelbar an ein Dorf namens Walthers grenzt. Diese Ortswüstung zwischen Allentsteig und Zwettl liefert für die Walther-Forschung eine Reihe von Indizien, dass Walther von der Vogelweide hier seine frühen Lebensjahre verbracht hat.
Damit liegt der Gedanke nahe, ob Walther von der Vogelweide selbst seinen Namen von dieser Vogelweide abgeleitet hat oder ob es Bischof Wolfger von Erla war, der diesen „Künstlernamen“ erfunden hat.
Zwei Landkarten aus dem 17. Jahrhundert und der Franziszeische Kataster aus dem frühen 19. Jahrhundert zeigen am östlichen Ortsrand von Walthers eine „Vogelweide“ – also ein Areal zur Ausbildung von Greifvögeln für die Jagd bzw. für die Beizjagd selbst. 1585 wird im Urbar der Herrschaft Allentsteig das Ausmaß dieses Areals auf „424 Jauchert“ beziffert (= 424 Joch à 57,55 Ar à 100 m²), damals 2,44km². Später wuchs das Areal auf eine Fläche von 5 bis 6 km².
Die symbolisierten Vogelkäfige bei der Darstellung Walthers von der Vogelweide in der Manessischen Handschrift
Noch 1587, also 400 Jahre nach der Gründung des Dorfes Walthers und mehr als 200 Jahre nach dessen Verödung, war Hans Hager, damals Besitzer der Herrschaft Allentsteig, als kaiserlicher Falknermeister tätig war. Mehrere Monate hindurch drängte er den Kaiser immer wieder (vergeblich) um Bezahlung der auf 2.000 Gulden angewachsenen Außenstände in der kaiserlichen Falknerei – ein Beweis für Umfang und Bedeutung der „Allentsteiger“ Vogelweide. An die Familie der Hager erinnert heute noch der Freihof der Hager in Allentsteig aus der Zeit um 1600, gegenüber von Gemeindeamt und Sparkasse.
Möglicherweise war Walther de Tige – der urkundlich erwähnte mutmaßliche Gründer von Walthers und mutmaßliche Vater Walthers von der Vogelweide – selbst der erste Falkner. Hier musste geradezu zwangsläufig der Name „Walther von der Vogelweide“ entstehen.
Das Dorf Walthers nahe Bernschlag bei Allentsteig scheint in zwei nahezu identen, im 17. Jahrhundert von den Mönchen des Stiftes Zwettl im nördlichen Waldviertel gezeichneten und notariell beglaubigten Karten auf. Von ganz besonderem Interesse auf diesen beiden Karten ist die (im Bild links unten eingerahmte und mit Nummern versehene) Beschreibung der Fluren, allen voran die direkt am östlichen Ortsrand beginnende „Vogelwaidt“ (Nummer 12), in der heutigen Schreibung „Vogelweide“.
Ein zum besseren Verständnis vergrößerter und bearbeiteter Ausschnitt einer der beiden Karten zeigt deutlich die enge Verbindung von Walthers mit seiner Vogelweide. Gut erkennbar darauf ist der östliche der beiden jeweils an den Dorfenden liegenden Gemeindebrunnen, der sich bereits innerhalb dieser Vogelweide befand. Dieser Brunnen wurde 1994 ergraben und nach mittelalterlichen Vorbildern rekonstruiert.
Die 1656 gezeichnete Flurkarte von Walthers, Stiftsarchiv Zwettl
Detail aus der Flurkarte von Walthers 1656, Stiftsarchiv Zwettl
Punkt 12: Vogelwaidt
Der Ausschnitt aus dem (nach Österreichs Kaiser Franz I. benannten) Franziszeischen Kataster von 1825 zeigt ebenfalls den engen Zusammenhang des Dorfes Walthers mit seiner nunmehr fünf bis sechs Quadratkilometer großen Vogelweide. Im Bild rechts oben befindet sich eine mit „Öd“ bezeichnete rechteckige Fläche, die der Standort des zur Vogelweide gehörenden Hofes, der Sitz des Dorfgründers Walther, gewesen sein dürfte.
Franziszeischer Kataster (1825), von Walter Klomfar ergänzt und mit Text versehen
Maissauer Ertragsverzeichnis von ca. 1390 mit Erwähnung der Vogelweide Stiftsarchiv Altenburg, AB 8, C 13
Bemerkenswert auf dieser Karte ist die am unteren Rand in der Vogelweide befindliche Häusergruppe Perweis, die vermutlich nach der Verödung des Dorfes Walthers entstand. Alle schwarzen Dreiecke auf dieser Karte sind Parzellen mit urkundlicher Nennung der Vogelweide.Bis ins 18. Jahrhundert gehörten große Teile von Österreich, so auch das Waldviertel, zur Diözese Passau. Der Passauer Bischof Wolfger von Erla (~1140-1218), einer der größten Mäzene Walthers, war mehrmals in Stift Zwettl zu Gast. Er war ein großer Freund der Beizjagd und ließ sich nachweislich auf seinen Reisen stets von eigenen Falknern und Falken begleiten, um dieser Jagdleidenschaft, wann immer es möglich war, nachgehen zu können.
Stift Zwettl, 1137/1138 gegründet, liegt von Walthers etwa 12km entfernt. Es ist naheliegend, dass der aus dem niederösterreichischen Erla stammende Bischof Wolfger bei seinen Aufenthalten in Zwettl auch in der Allentsteiger Vogelweide bei Walthers der Beizjagd nachging. Walter Klomfar vermutet, dass Wolfger dabei Walther, den Sohn des Ortsgründers und Falkners, kennenlernte, ihm eine Ausbildung in Stift Zwettl ermöglichte und letztlich auch den Weg an den Herzogshof in Wien ebnete.