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Walther von der Vogelweide in der Weingartner Liederhandschrift

Walthers Name

Für die Literaturwissenschaft spielt die Frage, wo Walthers Geburtsheimat zu suchen ist, wo er seine Kindheitsjahre verbracht hat, allenfalls eine untergeordnete Rolle.
Dennoch hat diese Frage, woher der größte deutschsprachige Dichter des Mittelalters stammt, Menschen beschäftigt und zu zahlreichen Theorien geführt.  Nicht zuletzt deshalb, da viele von Walthers Dichterkollegen ihren Herkunftsort im Namen führen, etwa Wolfram von Eschenbach (wahrscheinlich heute Wolframs-Eschenbach in der Metropolregion Nürnberg), Ulrich von Liechtenstein (heute Schloss Neu-Liechtenstein bei Judenburg in der Steiermark, Österreich) oder Oswald von Wolkenstein (heute eine Burgruine im Grödnertal, Südtirol, Italien) – oder Kol von Niunzen (das entsiedelte Neunzen östlich von Allentsteig⁶).

Walthers Beiname nennt keine Adelsfamilie, keine Burg, keine Ortschaft. War der Ort zu unbedeutend? Schämte er sich dafür? Oder verweist „von der Vogelweide“ auf deren Bedeutung? War es der Passauer Bischof Wolfger, dem Walther nicht nur seine Entdeckung und Förderung, sondern auch diesen Namen verdankte? Malen wir uns aus, wie Wolfger Walther vorstellte und anfangs dafür Gelächter erntete für „von der Vogelweide“ – und nicht aus einem namhaften Adelsgeschlecht. Vielleicht wurde das, was als leise Ironie mit Augenzwinkern begann, bald zu Walthers „Alleinstellungsmerkmal“.
Im 19. Jahrhundert, im Zeitalter des beginnenden Nationalismus, wurde Walther zu einem Südtiroler gemacht (daher das berühmte Denkmal in Bozen) – mit einer dünnen Begründung aus den mittelalterlichen Texten.
Ein Blick auf die politische Landkarte Europas um das Jahr 1190, als Walther am Hof der Babenberger nachweisbar ist, lässt erahnen, wie unwahrscheinlich es ist, dass ein talentierter junger Mann von Südtirol nach Wien geholt wird. Viel naheliegender ist, dass Walther aus dem Herrschaftsgebiet der Babenberger – damals nicht einmal das gesamte heutige Niederösterreich – kommt. 

Walther im Codex Manesse

Walthers Bild

Als „der von der Vogelweide“ bezeichnen ihn andere Dichter und auch Walther sich selbst. Im berühmten Codex Manesse, auch als Manessische oder Große Heidelberger Liederhandschrift bezeichnet, zwischen 1300 und 1340 entstanden, zeigt das Bild Walthers im Wappen wie auch in der Helmzier einen Vogel in einem Käfig – ein Hinweis auf eine Vogelweide.
Dass Allentsteig im niederösterreichischen Waldviertel ein Zentrum der Falknerei war und die Vogelweide von Walthers bei Bernschlag (noch heute Katastralgemeinde von Allentsteig) möglicherweise zur kaiserlichen Falknerei gehörte, ist daraus ersichtlich, dass Hans Hager von Allentsteig 1587 kaiserlicher Falknermeister war.

Die berühmte Darstellung Walthers illustriert eines seiner prominentesten Gedichte, seinen ersten Reichstonspruch „Ich saz ûf eime steine“, entstanden vermutlich um 1198. Walther beschreibt sich selbst, wie er auf einem Stein sitzt, die Beine überkreuzt, seinen Kopf auf eine Hand gestützt.
In der Forschung wird darauf verwiesen, dass sich Walther hier als „Beobachter, Seher und Prophet“ sieht. Der Stein (oder Hügel) erinnert an den Welt- oder Gottesberg, an den Nabel der Welt. Steinerne Thronsessel oder Richterstühle sind aus vielen Kulturen bekannt.  

Im Mittelalter, das eine eigene Sprache der Gesten entwickelt hatte, war es nur den Höchstrangigen gestattet, vor anderen zu sitzen. Walther nimmt damit – zumal mit seinem gesellschaftlichen Status – eine königliche, eine richterliche Position ein, die für Höhergestellte anmaßend bis verletzend wirken konnte.⁷ 
Die Darstellung des nachdenklichen Autors ist in beiden Liederhandschriften (B Weingartner) und (C Manesse) den Texten Walthers vorangestellt, basierend auf den Sangsprüchen „Ich saz ûf eime steine“⁸  und „Ich hôrte diu wazzer diezen“⁹ , in denen der Dichter seine Trauer über das irdische Chaos zum Ausdruck bringt.
Die Forschung weist darauf hin, dass das alles zeichenhaft und von der Tradition vorgegeben ist¹⁰ . Die dargestellte Haltung Walthers geht auf die Antike zurück und fand in der christlichen Kunst Verwendung. Der Fels (mhd. stein) nimmt Bezug auf Psalm 42,7 – dort sitzt der Sänger David auf dem Berg Hermon und blickt auf das rauschende Wasser des Jordan. Wellen, die den Felsen umspülen, sind auch in der Miniatur des Codex Manesse angedeutet.¹¹

Stammte Walther aus dem Adelsstand?

Bei Bischof Wolfger von Erla wird Walther 1203 als cantor (lat. Sänger) bezeichnet. Damit war ein Sänger gehobenen Standes gemeint, da gewöhnliche Spielleute, die von Dorf zu Dorf zogen, iocolatores (lat. Spaßmacher) genannt wurden. Der Germanist Otfrid Ehrismann vermutet, dass Walther „am ehesten der (weil nachgeborene) nicht-erbberechtigte Sohn eines Adeligen (eher wohl) geringeren Ranges war"¹². Dem entspricht die Positionierung von Walthers Texten in den mittelalterlichen Handschriften, in denen die Autoren nach ihrem sozialen Rang angeordnet sind.
All das passt auch gut ins Bild, wenn Walther von der Vogelweide – nach Walter Klomfars Theorie¹³ – der Sohn jenes Walther war, der um 1170 in einer Schenkungsurkunde als Zeuge des Kuenringer Burggrafen Erckenbert von Gars aufscheint und um 1175 als Zeuge in einer Urkunde des Marquard de Tige (heute Allentsteig) – des Schwiegersohns von Erckenbert – als „Walther de Tige“ genannt wird. Dieser Walther dürfte der Gründer des Dorfes Walthers nahe Bernschlag bei Allentsteig gewesen sein. Durch die benachbarte Vogelweide kam sein Sohn, der Dichter Walther, zu seinem Namen.

Wenn Walther von anderen Autoren als „Herr Walther“ tituliert wird, so ist dies für die Forschung kein Hinweis darauf, dass Walther aus dem (höheren) Adel stammte. Die Formulierung „Landherr aus Böhmen“ geht auf Johann Christoph Wagenseils Werk „Von der Meistersinger holdseligen Kunst“ von 1697 zurück und beruht auf einem Anachronismus, einem Missverständnis hinsichtlich des Namens Böhmen im Mittelalter: der nördliche Teil des Waldviertels, die Grenzlandregion zwischen Böhmen und Österreich, wurde im Mittelalter als „versus Boemian“, „gegen Böhmen zu“ bezeichnet.
In den Miniaturen beider Liederhandschriften ( B  Weingartner) und ( C  Manesse) wird Walther ebenfalls als „Her Walther“ bezeichnet und mit typischen Attributen des Adels dargestellt: langes Haar, Wappen (nur C), ein Vogel im Käfig als Symbol für die Vogelweide, edle Kleidung, ein Schwert (das in B wie nachträglich ergänzt wirkt), eine Art Krone. Die Verleihung der Dichterkrone gab es bereits in der Antike und mündete in der Renaissance in den Begriff „poeta laureatus“, „lorbeergekrönter Dichter“.
Wurden die Adelsattribute Walther erst bei der Gestaltung der beiden Liederhandschriften zugeordnet?¹⁴ Diese wurden allerdings etwa 70 bis 110 Jahre nach Walthers Tod zusammengestellt bzw. abgeschlossen.
„Bestimmt war er (…) einer der Ersten, denen die Kunst den Aufstieg in die besseren Kreise ermöglichte, im streng hierarchischen Mittelalter keine kleine Leistung.“¹⁵ Selbst wenn Walther nicht aus dem (höheren) Adel stammte: „sein Leben findet aber weitgehend in der Welt des Adels statt. Seine Kunst wird man sich fast ausschließlich im Rahmen der höfischen Kultur vorstellen dürfen.“¹⁶ 

Werner Goez nähert sich der Frage über Walthers Gedichte: da er sich zweimal selbst ausdrücklich als „Herr Walther“ bezeichnet – wie er vielfach bei anderen Dichtern der Zeit genannt wird –, könne er nicht aus dem Bauernstand stammen. Damit könnte er auch ein Angehöriger der städtischen Oberschicht sein, allerdings:
„Nirgendwo spielt in seiner Poesie der dichtgedrängte Ort im Schutz von Mauern und Toren, überragt von Kirchenschiff und Münsterturm, die geringste Rolle. Das lässt sich schwerlich nur mit der Rücksichtnahme auf ein hochadeliges Publikum erklären, „welches den Gestank der Städte verabscheut“, wie es einmal bei einem Zeitgenossen heißt. Auch als Gegenbild und dunkle Folie zu dem lichten Leben in Natur und höfischer Gesellschaft fehlt jeder Hinweis auf die bürgerliche Existenz. Obwohl Walther die Fürstenhöfe in Wien und Eisenach, die Reichstage in Magdeburg (Weihnachten 1199) und Nürnberg (1225) aus eigener Kenntnis erwähnte, vermied er die kleinste Anspielung auf den urbanen Charakter dieser Plätze. Walther war in mancher Hinsicht eher altmodisch: Nicht die neuen Sozialformen, sondern ausschließlich ein adlig-bäuerlich bestimmtes Landleben bildete den Hintergrund seiner Dichtung.“¹⁷ 

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Walthers Bildung

Die Wiener Germanistin Hedwig Heger attestiert Walther, dass er „in hohem Maße musikalisch war [und] vermutlich eine Klosterschule durchlaufen hat.“ Fritz Peter Knapp weist darauf hin, dass sich bereits im ersten und zweiten Reichstonspruch (Ich saz ûf eime steine / Ich hôrte diu wazzer diezen (entstanden zwischen 1198 und 1201?) „theologische Elemente, die eine klerikale Ausbildung des Dichters wahrscheinlich machen“, zeigen¹⁸. Diese Bildung dürfte Walther, nach Walter Klomfars Theorie, in Stift Zwettl erhalten haben.
Zweifellos verfügte Walther „über ein nicht unbeträchtliches theologisches Wissen, wie namentlich aus den apokalyptischen Bildern des letzten Spruches im `Wiener Hofton´ und den dogmatischen Aussagen des >Leich< hervorgeht. Ein unbeachtet gebliebener Bibelvers, den Walther aus der Vulgata übersetzt zu haben scheint, legt die Annahme nahe, dass er sogar Lateinkenntnisse besaß.“¹⁹ 
Walthers erster Reichstonspruch, auch als Reichsklage bezeichnet und einer seiner bekanntesten Texte, wurde zur Grundlage für die Darstellungen des Dichters in der Weingartner Liederhandschrift und in der Großen Heidelberger Liederhandschrift. Walther beschreibt sich selbst, wie er auf einem Stein sitzt, die Beine überkreuzt, seinen Kopf auf eine Hand gestützt.²⁰

In der Forschung wird zB von Hans Uwe Rump schon 1974 darauf verwiesen, dass sich Walther hier als „Beobachter, Seher und Prophet“ sieht. Der Stein (oder Hügel) erinnert an den Welt- oder Gottesberg, an den Nabel der Welt. „So sitzt der Prophet (und Evangelist) der Heiligen Schrift, der von Gott zum Reden autorisiert und inspiriert ist; so sitzt der trauernde Christus, der in stellvertretender Betroffenheit Einsicht in die Weltzusammenhänge besitzt. (…)“, formuliert Ursula Schulze.
Steinerne Thronsessel oder Richterstühle sind aus vielen Kulturen bekannt. Im Mittelalter, das eine eigene Sprache der Gesten entwickelt hatte, war es nur den Höchstrangigen gestattet, vor anderen zu sitzen. Walther nimmt damit – zumal mit seinem gesellschaftlichen Status – eine königliche, eine richterliche Position ein, in der er „so auf die anderen herabsehen kann und gibt Sprüche von sich, im stolzen Bewusstsein eigener höchster Einsicht und Urteilsfähigkeit, womit er zweifellos zwangsläufig andere in ihrer Eitelkeit oder ihrem Standesbewusstsein verletzen musste.“²¹
Könnte darin auch ein Grund dafür zu suchen sein, dass Walther den Babenbergerhof in Wien – nach dem Tod seines Förderers Herzog Friedrich I. (1198) – auf Anordnung von dessen Bruder und Nachfolger Herzog Leopold VI. verlassen musste?