Im Katalog zur Landesausstellung „Die Kuenringer. Das Werden des Landes Niederösterreich“ 1981 im Stift Zwettl argumentierte Prof. Bernd Thum von der Universität Karlsruhe zur Herkunft Walthers schlüssig, dass Walther aus dem Waldviertel stammen müsse. Ausgangpunkt für Bernd Thum war Walthers sogenannte „Alterselegie“ (L 124,1).
Wenn Walther lange nicht mehr in seiner Heimat gewesen sei (L 124,1,7-9 liut unde lant, dârinne ich von kinde bin erzogen, die sint mir worden frömde reht als ez sî gelogen. die mîne gespilen wâren, die sint træge unt alt.“ - Leute und Land, von denen ich als junger Mann weggezogen bin, die sind mir fremd geworden, als ob es erlogen gewesen sei. Die meine Spielgefährten waren, die sind träge und alt.), heiße das, dass die Region abseits von den wichtigsten Verkehrswegen liege. Die Verszeile „bereitet is daz velt, verhouwen ist der walt“ (L 124,1,10 parzelliert / angelegt / wohlbestellt ist das Feld, gerodet ist der Wald) verweise auf eine Rodungstätigkeit, die um diese Zeit nirgendwo sonst noch als im Waldviertel, in der „silva nortica“, stattgefunden habe.
Cover Katalog Landesausstellung 1981
Univ.-Prof. Dr. Bernd Thum
1987 entdeckte Walter Klomfar, der 1985 einen Zweitwohnsitz in der Nähe von Zwettl gefunden hatte, durch eine im Stift Zwettl aufbewahrte Flurkarte im Zuge seiner Forschungen über Ortswüstungen den Zusammenhang zwischen der mittelalterlichen Dorfwüstung Walthers nahe Bernschlag bei Allentsteig und der angrenzenden großen Vogelweide. Es folgten Veröffentlichungen in Fachpublikationen und Lichtbildervorträge.
1988 initiierte Bezirksschulinspektor Franz Trischler ein internationales Walther-von-der-Vogelweide-Symposion am 1. und 2. Oktober in Traunstein und Zwettl. Bei einer Exkursion in das einstige Dorf Walthers zwischen Allentsteig und Zwettl präsentierte Klomfar seine Erkenntnisse.
Univ.-Prof. Dr. Bernd Thum und BSI Dr. Franz Trischler 1988 in Walthers
Gedenkstein und (im Hintergrund) Brunnen 1995
Am 29. August 1992 erfolgte die feierliche Übergabe eines „Walther-Gedenksteines“ in Walthers an die Öffentlichkeit.
1994 wurde – genau an der Stelle, wo er auf den historischen Landkarten eingezeichnet ist – der östliche der beiden mittelalterlichen Dorfbrunnen von Walthers freigelegt, rekonstruiert und am 10. September 1994 mit feierlicher Segnung der Öffentlichkeit übergeben. Zwei Informationstafeln boten nun eine Erläuterung zur Ortswüstung Walthers, der Vogelweide und den Indizien, dass Walther von der Vogelweide hier seine Kindheits- und Jugendjahre verbracht hat.
Freilegung des östlichen mittelalterlichen Dorfbrunnens von Walthers
Rekonstruktion des östlichen mittelalterlichen Dorfbrunnens von Walthers (1994)
Bei regelmäßigen Suchgängen seit 1987 konnten auf den Äckern über der Ortswüstung Walthers zahlreiche mittelalterliche Keramikscherben gesammelt werden – vom dünnwandigen Krüglein bis zum Vorratsgefäß mit vier Zentimeter Wandstärke. Funde von Walthers wie Metallgegenstände, Keramik und geborgene Balkenreste aus dem Brunnen befinden sich heute im Stadtmuseum Zwettl. Am 7. November 1994 wurde der Verein „Forschungsgemeinschaft Walther von der Vogelweide ein Waldviertler“ mit Walter Klomfar als Obmann gegründet.
Walther Klomfar (1931 - 2015)
Entlang der Straße finden sich noch heute zahlreiche mittelalterliche Keramikreste wie Spinnwirtel oder sogenannte Mundsäume.
Am 7. und 8. Oktober 1995 fand in Zwettl erneut ein internationales Walther-von-der-Vogelweide-Symposion statt, an dem hochrangige Universitätsprofessor:inn:en aus dem In- und Ausland teilnahmen.
Univ.-Prof. Dr. Helmut Birkhan, der wissenschaftliche Leiter dieses Symposions, vertrat bei einem Rundfunkinterview während des Symposions die Ansicht, dass das Waldviertel mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent gegenüber 30 Prozent für die anderen bisherigen Bewerber die Heimat Walthers von der Vogelweide gewesen sei. Bei einem späteren Interview präzisierte Prof. Birkhan seine Ansicht noch einmal: „Auch heute – und noch mehr als früher – scheint mir die von Walter Klomfar vorgelegte Argumentation durchaus einleuchtend und daher das Waldviertel mit großem Abstand die wahrscheinlichste Heimat Walthers zu sein“.
Anmerkung 2023: Nach Durchsicht des aktuellen Gesamtbildes schrieb uns Dr. Birkhan im Oktober 2023: "Inzwischen tut es mir leid, daß ich nur von 70% Wahrscheinlichkeit sprach. Heute würde ich sagen: es sind 90% !!!"
Nach Abschluss des Symposions äußerte sich Prof. Bernd Thum von der Universität Karlsruhe in seinem Schlusswort zu dieser Theorie wörtlich: „Es gibt überhaupt keine bessere Theorie zur Heimat Walthers als die Waldviertel-Theorie. So viele Argumente für eine Zuweisung Walthers in diese Region kann kein anderer Diskurs bringen: Es ist die Rodung, es ist das Nibelungenlied-Versmaß, es ist der „Landherr aus Böhmen“, und so viele andere Dinge überlappen sich, dass man fast von einem kriminalistischen Effekt sprechen könnte, von einer Rasterfahndung, bei der die Verhaftung des Verdächtigen – in diesem Falle des Waldviertels – unmittelbar bevorsteht.“
Im Bild von links nach rechts:
Ass.-Prof. Dr. Günther Zimmermann, Universität Wien
Univ.-Prof. Dr. Helmut Birkhan, Universität Wien
Univ.-Prof. Dr. Ingrid Bennewitz, Universität Bamberg
Univ.-Prof. Dr. Bernd Thum, Universität Karlsruhe
Univ.-Prof. Dr. Hermann Reichert, Universität Wien
Univ.-Prof. Dr. Ulrich Müller, Universität Salzburg
Zum 800. Jahrestag der einzigen urkundlichen Erwähnung Walthers - anlässlich der Schenkung eines Pelzrocks durch Bischof Wolfger von Erla - fand von 24. bis 27. September 2003 ein großes internationales Walther von der Vogelweide-Symposion in Zeiselmauer statt.
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften hatte schon 2002 zahlreiche namhafte Walther-Forscher*innen, darunter auch Walter Klomfar, zu diesem Symposion eingeladen. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl (26 Vortragende) fanden die Vorträge in zwei Sektionen in der Schule von Zeiselmauer statt. Mittag- und Abendessen wurden in den Räumen des einstigen Bischofs-Marckhofes aus dem 11. Jahrhundert, in dem sich jetzt das Restaurant „Zum lustigen Bauern“ befindet, eingenommen.
Der Bischofs-Marckhof in Zeiselmauer, zuletzt Gasthof „Zum Lustigen Bauern“, war von 836 bis 1645 Passauer Bischofssitz.
Gedenktafel 1930
In diesem Bischofs-Marckhof hatte Walther von der Vogelweide von Bischof Wolfger am 12. November des Jahres 1203 jene fünf langen Schillinge erhalten, die für die Walther-Forschung das einzige urkundliche Lebenszeugnis des berühmten Minnesängers und Spruchdichters darstellen.
Diese Vorträge zum Stand in der Walther-Forschung wurden in den Sitzungsberichten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht, herausgegeben von Helmut Birkhan. Am 11. November 2005 wurde das umfassende Werk im Rahmen einer kleinen Feier in den Räumen des Landesschulrates von Niederösterreich in St. Pölten der Öffentlichkeit vorgestellt.
Adolf Stricker, Präsident des NÖ Landesschulrates, und Univ.-Prof. Dr. Helmut Birkhan
Titelseite „Der 800jährige Pelzrock“