Idealporträt des Wolfger von Erla als Patriarch von Aquileia im Thronsaal des Diözesanmuseums und der Tiepolo-Galerie in Udine

Bischof Wolfger

Das Herzogtum der Babenberger, das damals nicht einmal das gesamte heutige Niederösterreich umfasste, gehörte bis 1783 zur Diözese Passau. Von 1191 bis 1204 war der aus der Nähe von Amstetten stammende Wolfger von Erla (1140-1218) Bischof von Passau.
Ihm verdanken wir das einzige Lebenszeugnis zu Walther von der Vogelweide außerhalb der literarischen Texte von Walther und seinen Zeitgenossen: im November 1203 schenkte Wolfger in Zeiselmauer bei Tulln „dem Sänger Walther von der Vogelweide für einen Pelzrock fünf lange Schillinge“, wie er in der Aufstellung seiner Reisekosten vermerkte. Walther gehörte offensichtlich zu den Begleitern des Bischofs, als dieser nicht wie vermutet auf dem Weg nach Wien zur Hochzeit von Herzog Leopold VI. mit der byzantinischen Adeligen Theodora Angelina war, sondern auf einer Visitationsreise durch seine Diözese (Reichert 11, Fußnote 2).
Bischof Wolfger, ein Freund der Literatur und der Falkenjagd, war nachweislich mehrmals in Stift Zwettl zu Gast. Von dort aus könnte er, wie Walter Klomfar vermutet, die Vogelweide von Walthers besucht haben, den Sohn des Falknermeisters kennengelernt, ihm eine Ausbildung in Stift Zwettl ermöglicht und letztlich auch den Weg an den Wiener Hof geebnet haben. Vielleicht geht auch der Name „Walther von der Vogelweide“ auf ihn zurück.
Ab 1204 wirkte Wolfger als Patriarch von Aquileia und nahm 1215 am 4. Laterankonzil, dem theologisch bedeutendsten des Mittelalters, teil. 

Wolfgers Werdegang 

„Mit diplomatischem Geschick ausgestattet, eine riesige Diözese leitend, Patriarch der Kirchenprovinz Aquileia, auch ein weltliches Richteramt innehabend und politisch sehr aktiv, viele Reisen unternehmend, schlagkräftig, ordnungsliebend, kulturbeflissen und unter anderem vielleicht Veranlasser der Niederschrift des Nibelungenliedes: Wolfger von Erla, Bischof von Passau.“ (Bein 26)
„Wolfgers Name gilt viel im Reich.“ (Goez 313) 
1183 war Wolfger Propst des Klosters Pfaff(en)münster im niederbayerischen Landkreis Straubing-Bogen, 1184 Propst von Zell am See (Salzburg). In dieser Funktion besaß Wolfger zwar einen beachtlichen geistlichen Rang, jedoch nur die niederen Weihen (die 1972 abgeschafft wurden). 1191 bis 1204 war er Bischof von Passau, von 1204 bis zu seinem Tod am 23. (24.?) Jänner 1218 Patriarch von Aquileia.  

Wolfger von Erla, auch Wolfger von Ellenbrechtskirchen, entstammte einem alten bayrischen Adelsgeschlecht. Die Stammburg beim heutigen Hofkirchen nahe Vilshofen an der Donau (29 bzw. 22km nordwestlich von Passau) gilt als verschollen. Geboren wurde Wolfger um 1170 in Erla, heute ein Ortsteil der Gemeinde St. Pantaleon-Erla im äußersten Westen von Niederösterreich, 28km südöstlich von Linz. Die Edelfreien von Erla sind ab dem 11. Jahrhundert nachweisbar, dürften jedoch mit Wolfger und seinem Bruder Sighard (Eberhard?) ausgestorben sein. Schloss Erla wurde später in ein Kloster umgewandelt.
Die Priester- und Bischofsweihe erhielt Wolfger erst nach der Bischofswahl. Er war verheiratet gewesen und hatte einen Sohn, der in Wolfgers Reiserechnungen mehrfach erwähnt wird und der später in das Passauer Domkapitel eintrat. Ob Wolfger zum Zeitpunkt der Priesterweihe verwitwet war oder seine Ehefrau in ein Kloster eintrat, ist unbekannt, da es über Wolfgers Gattin keinerlei Nachrichten gibt. Eine unveränderte Weiterführung einer Ehe wäre jedoch um 1200 für einen Bischof kaum mehr möglich gewesen. 
Wolfger war in der Formulierung von Werner Goez „ein Mann ohne große politische Verbindungen und weder durch Beweise besonderer Frömmigkeit noch durch seltene Gelehrsamkeit irgendwie auffallend. Anders als seine beiden Vorgänger, die aus hochadeligem Hause kamen, stammte Wolfger zwar aus guter, doch keinesfalls aus sehr vornehmer Familie. Sein Bruder Eberhard war sogar mit einer Unfreien verheiratet.“
Daraus lässt sich schließen, dass Wolfgers Familie und er selbst keine Standesdünkel und Berührungsängste mit Menschen sozial niedrigerer Stellung hatten. Zu diesen gehörte auch Walther von der Vogelweide, der ihm möglichweise von Hadmar II. von Kuenring (um 1135/1140-1217, Lebensdaten parallel zu Wolfger!) empfohlen worden war.
Als Bischof von Passau – das Bistum umfasste zur damaligen Zeit etwa 42.000 km² und war damit das größte im Heiligen Römischen Reich – war Wolfger zugleich auch Reichsfürst. In dieser Funktion bewährte er sich als Diplomat und vermittelte mit großem Geschick zwischen Kaiser und Papst.
1195 wirkte Wolfger an der Konfliktlösung nach der Gefangennahme des englischen Königs Richard I. Löwenherz mit – der von Hadmar II. von Kuenring gefangen genommen worden war. 1197/98 nahm Wolfger am „Deutschen Kreuzzug“ Heinrichs VI. teil – bei dem Herzog Friedrich I., der Förderer Walthers von der Vogelweide, starb. Wolfger geleitete Friedrichs Leichnam nach Österreich und kehrte am 30. Juni 1198 nach Passau zurück.
Wolfger führte sein Bistum papsttreu und im Einklang mit dem Staufischen Königtum und den österreichischen Herzögen, mit einer umfassenden bischöflichen Rechtsprechung auf Diözesan- und Reichsebene. 1199 wurde Wolfger von Erla von Papst Innozenz III. zum alleinigen Oberrichter bestellt.


Wolfger von Erla strebte energisch seiner Erhebung auf den Patriarchenstuhl von Aquileia zu, ca. 40km nordwestlich von Triest, von der Antike bis ins Hochmittelalter eine Handelsmetropole und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zu Lande und zu Wasser. 1204 wurde er zum Patriarchen von Aquileia gewählt, wo er die weltliche Gewalt festigte und 1209 Istrien und Krain zurückgewann. Ihm wurde das Amt des Reichslegaten in Italien unter Philipp von Schwaben und Otto IV. übertragen. In seiner Funktion als Patriarch nahm Wolfger 1215 am 4. Laterankonzil, dem theologisch bedeutendsten Konzil des Mittelalters, teil.
Seinen weltlichen Lebensstil behielt Wolfger auch als Bischof bei – v.a. die Falkenjagd (die Geistlichen beim 4. Laterankonzil 2015 verboten wurde). Seine Rechnungen für Wein und Kerzen zeigen, dass er abendliche Gesellschaften liebte.
Wolfger von Erla war Mäzen und Förderer der Dichter seiner Zeit. Neben Walther von der Vogelweide gehörten auch andere österreichische und bayerische Dichter zum literarischen Kreis des Bischofs, der sein Bistum zu einem literarischen Zentrum ersten Ranges machte. Das Nibelungenlied, das ohne den Namen eines Autors überliefert ist, entstand offensichtlich in Wolfgers Umfeld. An seinem Hofe in Aquileia war mit dem aus Friaul stammenden Thomasîn von Zerclaere (um 1186-1238?, ab ~ 1206 Domherr in Aquileia) ein weiterer Dichter tätig.
Diesem Wolfger von Erla verdanken wir das einzige außerliterarische Lebenszeugnis für Walther von der Vogelweide. 

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Wolfger von Erla, Darstellung in einer Handschrift des 16. Jahrhunderts

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Die Reiserechnung

Wolfger und Walther

Eine herausragende Rolle im Leben Walthers von der Vogelweide spielte offensichtlich Wolfgang von Erla, Bischof von Passau.
Das Herzogtum Österreich und damit auch das Waldviertel gehörten damals zur Diözese Passau. Wolfger war nachweislich mehrmals im 1138 gegründeten Zisterzienserstift Zwettl zu Gast – und er war ein großer Freund der Beizjagd, also der Falknerei. Die Vermutung liegt nahe, dass er von Stift Zwettl aus die 12km entfernte Vogelweide von Walthers besuchte, dort Walther, den Sohn des Falknermeisters und Ortsgründers kennenlernte, ihm eine Ausbildung im Stift Zwettl ermöglichte und ihm über den Zwettlerhof, unmittelbar neben dem heutigen Stephansdom gelegen, den Weg an den Wiener Herzogshof ebnete.  

Vielleicht geht auf Wolfger auch der Name „Walther von der Vogelweide“ zurück. Wenn Wolfger (nach Walter Klomfar) Walther bei der Beizjagd in Walthers kennengelernt, ihm die Wege ins Kloster Zwettl und über den Zwettlerhof hinter St. Stephan zu Wien auch an den Wiener Hof geebnet hat, wenn Walther noch im November 1203 (d.h. etwa 15 bis 20 Jahre nach der ersten Begegnung) in seinem Gefolge war, dann muss das eine ganz besondere, dauerhafte Verbundenheit gewesen sein.
In Wolfgers Umfeld entstand vermutlich auch das Nibelungenlied, möglicherweise als Gemeinschaftsarbeit mehrerer Autoren. Das würde immerhin erklären, weshalb dieses zwischen 1190 und 1204 entstandene mittelalterliche Heldenepos ohne den Namen eines Autors überliefert ist. Forschende vermuten, dass Walther in Wolfgers Auftrag an der Endredaktion beteiligt war. Das Versmaß der Nibelungenstrophe, die Langzeile mit Endreim, verwendet Walther in seiner sogenannten Alterselegie.

Nach dem Tod seines Förderers Herzog Friedrich I. musste Walther auf Anordnung von dessen Nachfolger, dem jüngeren Bruder Leopold VI., später „der Glorreiche“ genannt, vom Wiener Hof Abschied nehmen. Den Grund kennen wir nicht, er muss jedoch triftig gewesen sein, da alle Versuche Walthers, wieder in Wien Aufnahme zu finden, scheiterten. Zumindest bis 1203/1204 fand Walther Aufnahme bei seinem mutmaßlichen Entdecker, dem Passauer Bischof Wolfger von Erla.
Fest steht, dass wir diesem Bischof von Passau das einzige außerliterarische Lebenszeugnis für Walther von der Vogelweide verdanken. Diese singuläre Nennung Walthers außerhalb der Literatur ist die Erwähnung im Register der Reisekosten Wolfgers, als dieser im Spätherbst 1203 – im Rahmen einer Visitationsreise durch seine Diözese (Reichert 11) – in Wien war. Walther gehörte zu den Begleitern des Bischofs. Für Mittwoch, den 12. November 1203, am Tag nach dem „Fest des heiligen Martin“, notiert Wolfger, wieviel der Pelzmantel gekostet hatte, den der Bischof Walther schenkte.
 3.2 Abb. Wolfgers Geschenk 1203
Kleriker aus der Umgebung des Bischofs erhielten in diesen Tagen (Anfang November) Pelzmäntel um etwa denselben Wert oder knapp darunter. Das zeigt, dass Walther sich etwa so gut kleiden durfte wie die engeren Mitarbeiter („Beamte“) des Bischofs, und veranschaulicht so seine – nunmehrige – soziale Stellung.
War der Pelzmantel ein Abschiedsgeschenk Wolfgers an Walther? Wusste Bischof Wolfger im Spätherbst 1203 bereits, dass er ab September 1204 Patriarch von Aquileia sein würde?
Oder fungierte Walther – nicht nur für Bischof Wolfger – als Gesandter? Manche Historiker sehen Indizien dafür in dem Wert des Pelzmantels, der „recht genau der Entlohnung für Gesandte zum Königshof“ entspreche (Hucker 10).
In einem späteren Gedicht rühmt Walther Wolfger als „angesehenen Patriarchen, frei von Unaufrichtigkeit“ (L 31,13 / W 12/XIV3). 

Wolfgers Geschenk: Der Pelzmantel  

Das Nibelungenlied, ein mittelalterliches Heldenepos, wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts in mittelhochdeutscher Sprache niedergeschrieben. Der Stoff der Nibelungensage stammt aus dem 5. und 6. Jahrhundert und ist damit wesentlich älter. Entstanden ist das Epos zwischen 1190/1198 und 1204 (spätestens 1208) im Umfeld des Passauer Bischofs Wolfger von Erla. 
Das einzige urkundliche Lebenszeugnis zu Walther von der Vogelweide verdanken wir dem Passauer Bischof Wolfger von Erla. 1874 wurde im Archiv in Cividale del Friuli, Italien, in Wolfgers Reiserechnungen bzw. Ausgabenregister die Eintragung zu Walther von der Vogelweide gefunden: für den 12. November 1203, am Tag nach dem Fest des heiligen Martin, notiert Wolfger, wieviel der Pelzrock bzw. Pelzmantel gekostet hatte, den der Bischof Walther schenkte:

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Sequenti die apud zei[zemurum] walthero cantori de vogelweide pro pellicio V sol[idos] longos
„Am folgenden Tag [gab ich] bei Zeiselmauer Walther, dem Sänger aus Vogelweide, für einen Pelzmantel fünf Schillinge“, wörtlich „lange Solidi“  

Ort des Geschehens war der Bischofs-Marckhof in Zeiselmauer (zwischen Klosterneuburg und Tulln, Niederösterreich, ca. 25 km nordwestlich von Wien). Hier hatten schon die Römer ein Militärlager am Donaulimes angelegt, die alten Römerstraßen entlang dem Limes gehörten auch im Mittelalter zu den wichtigsten Verkehrswegen.
Ein solches Kleidungsstück war den höheren Ständen vorbehalten. Kleriker aus der Umgebung des Bischofs erhielten in diesen Tagen (Anfang November) Pelzmäntel um etwa denselben Wert oder knapp darunter. Das zeigt, dass Walther sich etwa so gut kleiden durfte wie die engeren Mitarbeiter („Beamte“) des Bischofs, und veranschaulicht so seine soziale Stellung. 

Der Begriff solidi kommt vom Lateinischen solidus, einer römischen (Gold-)Münze, die von Anfang des 4. Jahrhunderts an rund ein Jahrtausend in Verwendung war. Davon stammen die deutschen Wörter Sold und auch Schilling. Das karolingische Zählpfund war damals in Bayern und Österreich nicht wie allgemein üblich in 20 sogenannte „solidi breves“ (kurze Schillinge) zu 12 denarii – gesamt 240 denarii – unterteilt, sondern in 8 sogenannte „solidi longi“ (lange Schillinge) zu 30 denarii – ebenfalls 240 denarii. (Information Klomfar unter Vogelweide) Der Wert von fünf „solidi longi“ entspricht ca. 335g Silber. In Walthers Zeit dürfte ein kleiner Handwerker kaum jemals so viel Geld auf einmal besessen haben (Exner 61).

Es war dies tatsächlich ein überaus großzügiges Geschenk, mit dem man damals nicht nur einen teuren Pelzrock, wie ihn etwa auch Bischof Wolfger trug, kaufen konnte, sondern zum Beispiel auch ein gutes Pferd. Zugleich stellt diese Nachricht auch das einzige bisher bekannte außerliterarische Zeugnis für Walther von der Vogelweide dar.
War der Pelzrock bzw. Pelzmantel ein Abschiedsgeschenk von Bischof Wolfger, der im November 1203 wohl wusste, dass er ab 1204 (bis zu seinem Tod 2018) das hohe kirchliche Amt des Patriarchen von Aquileia bekleiden sollte? In jedem Fall zeigt er die Wertschätzung des Bischofs für Walther. 

Zum 800. Jahrestag dieses urkundlich belegten Geschenks fand vom 24. bis 27. September 2003 in Zeiselmauer ein großes internationales Walther von der Vogelweide-Symposion statt, an dem führende Forscher*innen aus USA, Kanada, England, Frankreich, Schweden, den Niederlanden sowie aus Deutschland und Österreich teilnahmen. Die Vorträge aller Teilnehmer – darunter auch der von Walter Klomfar – wurden am 11. November 2005 unter dem Titel „Der 800jährige Pelzrock. Walther von der Vogelweide / Wolfger von Erla / Zeiselmauer“ in den Sitzungsberichten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht. Herausgeber war Univ.-Prof. Helmut Birkhan, der langjährige Vorstand des Instituts für Germanistik an der Universität Wien.